5 Subfunktionen von Führung – Verstehen, welche Facetten Führung hat

In unserem Entwicklungsprogramm für Führungspersönlichkeiten starten wir die Reise mit unseren Teilnehmer:innen mit der Frage “Führung – was ist das überhaupt?”. Eines der Denkmodelle, die wir in dieser Einführung gerne verwenden, sind die 5 Subfunktionen von Führung, die Gregor im Buch “Die entfaltete Organisation” von Joana Breidenbach & Bettina Rollow kennengelernt hat. In diesem Beitrag stelle ich das Modell vor, gebe eine Vielzahl von Beispielen und erkläre, was mir an diesem Modell besonders gut gefällt.

Warum gerade dieses Modell?

Ich verwende dieses Modell vor allem aus diesen Gründen sehr gerne:

  • Es beschreibt Führung unabhängig von einer bestimmten Organisationsform: Egal ob ein Unternehmen ganz klassisch hierarchisch organisiert ist oder stark auf verteilte Führung in einem weitgehend selbstorganisierten System setzt: Die fünf Subfunktionen sollten dort wie da ausgefüllt werden.
  • Es beschreibt Führung als Portfolio von Dienstleistungen, und zwar unabhängig von einer oder mehreren Personen, die in Summe dieses Dienstleistungsportfolio abdecken. Mir gefällt in diesem Zusammenhang die Metapher vom Marktstand recht gut: Wenn jemand auf einem Markt einen gut sortierten Stand hat, bei dem man Führung kaufen kann: Was alles sollte dort verfügbar sein?
  • Die fünf Subfunktionen sind klar verständlich und nachvollziehbar und bieten somit eine gute Denkstruktur im Sinne einer Checkliste, die bei einer konkreten Führungsherausforderung herangezogen werden kann um zu prüfen, welche der einzelnen Subfunktionen vielleicht gerade besonders hilfreich sein können.

In den verbleibenden Abschnitten dieses Beitrags stelle ich dir das Modell im Detail vor und gebe für jede der fünf Subfunktionen eine Menge von konkreten, beispielhaften Aktivitäten, die Führung in der jeweiligen Subfunktion setzen könnte.

Führung als Funktion

Führung wird als Funktion verstanden: Als der grundsätzliche Mechanismus, mit der in einem Team oder einer Organisation anstehende Aufgaben, Ziele und Herausforderungen beantwortet und umgesetzt werden.

Führung ist dabei nicht notwendigerweise an genau eine Person gebunden. Die Funktion Führung kann auf mehrere Personen aufgeteilt sein („verteilte Führung“) oder auch situativ durch unterschiedliche Personen wahrgenommen werden.

Führung ist immer mit Verantwortung verbunden. Verantwortung ist die Fähigkeit (und sogar Verpflichtung), auf Situationen und Herausforderungen zu antworten, also zu handeln. Führung und Verantwortung gehen Hand in Hand und beschreiben die Fähigkeit, in einer Organisation passende Schritte und Maßnahmen zu konzipieren und umzusetzen.

Um Führung und die damit verbundene Verantwortung greifbarer zu machen, wird Führung in fünf Unterfunktionen aufgeteilt:

  1. Führung gibt Orientierung.
  2. Führung entscheidet und sorgt für Umsetzung.
  3. Führung sorgt für Reflexion, Austausch und Erkenntnis.
  4. Führung bearbeitet Spannungen und Konflikte und zieht Konsequenzen.
  5. Führung bietet Schutz und Sicherheit.

Wie ist Führung in der Organisation verteilt?

Wie Führung in einem Team / einer Organisation verteilt ist (oder verteilt werden soll), hängt stark vom gewählten Organisationsmodell ab – von stark zentralisiert in funktionalen Hierarchien bis zu stark verteilt in selbstorganisierten Modellen.

Hilfreiche Reflexionsfragen in diesem Zusammenhang, insbesondere bei einer beabsichtigten Veränderung, können diese sein:

  • Wo führe ich mich selbst? (Selbstführung)
  • Wo werde ich geführt? (Fremdführung)
  • Wo führe ich andere? (Mitarbeiter:innenführung)

Eine gute Übung kann etwa sein, diese Fragen auf die einzelnen Aspekte der im Folgenden näher ausgeführten fünf Subfunktionen von Führung zu beziehen.

5 Subfunktionen von Führung

Die 5 Subfunktionen von Führung

1. Führung gibt Orientierung

Menschen schätzen klare Rahmenbedingungen für ihre Arbeit. Diese Orientierung kann etwa über folgende Zugänge geschaffen werden:

  • Vision und Mission: Was ist die große und langfristige Ausrichtung einer Organisation, der „Nordstern“? Wenn ich als Mitarbeiter:in diesen Nordstern kenne, kann ich meine eigenen Arbeitsbeiträge darauf ausrichten.
  • Kernwerte: Neben der Vision ist es essentiell, dass Führung klare, gemeinsame Werte definiert, die als ethische und kulturelle Grundlage für das Handeln im Unternehmen dienen. Diese Werte sollten aktiv gelebt, regelmäßig reflektiert und als Richtschnur in Entscheidungsprozesse integriert werden.
  • Strategien, Ziele, Metriken: Diese helfen, den „Nordstern“ fassbarer zu machen: Was sind Schritte, die uns diesem übergeordneten Ziel in einem fassbaren Zeitintervall näher bringen? Woran kann ich konkret erkennen, dass wir als Abteilung, als Team dazu beitragen?
  • Transparente Kommunikation: Durch offenen Austausch über Ziele, Strategien und Herausforderungen sicherstellen, dass alle Mitglieder der Organisation die Richtung kennen und verstehen.
  • Klare Rollen und Verantwortlichkeiten: Ich kenne als Mitarbeiter:in meine Aufgabengebiete, den Rahmen, innerhalb dem ich meine Arbeit frei gestalten kann und die Erwartungen meiner Umwelt an meine Arbeit.
  • Strukturen und Prozesse: Vor allem bei regelmäßig wiederkehrender Arbeit leiten diese und geben Sicherheit. Ich muss als Mitarbeiter:in nicht ständig auf der grünen Wiese mit meiner Arbeit starten, sondern kann auf etablierten Vorgehen aufbauen.

2. Führung entscheidet und sorgt für Umsetzung

Führen heißt, Entscheidungen zu treffen. Wir entscheiden oft viel mehr, als uns bewusst ist. Hilfreiche Überlegungen dazu sind:

  • Entscheidungsmacht klar verorten: Das Treffen von Entscheidungen kann man fördern, wenn Klarheit herrscht: Wer darf welche Entscheidungen treffen? Wer ist vor dem Treffen einer Entscheidung zu hören (wer könnte wichtige Informationen haben)? Das Treffen von Entscheidungen ist eine wichtige Kategorie von Verantwortlichkeit beim Beschreiben einer Rolle.
  • Informationen für Entscheidungen bereitstellen: Das Treffen von Entscheidungen braucht eine gute Informationslage. Wird die Entscheidung in der Organisation dort getroffen, wo die beste Informationslage herrscht? Wie bekommt die Person, die entscheiden soll, alle wichtigen Informationen, die die Entscheidung beeinflussen? Wie kann diese Information generiert werden, wenn sie auf unterschiedliche Personen verteilt ist?
  • Entscheidungen umsetzen: Entscheidungen werden nur wirksam, wenn sie auch umgesetzt werden. Hier ist das Nachsteuern wichtig: Ist allen relevanten Personen bekannt, wie entschieden wurde? Wo steht die Organisation gerade bei der Umsetzung der Entscheidung? Wird die Entscheidung von allen relevanten Personen mitgetragen?
  • Dezentralisierung von Entscheidungsfindung: Um sich selbst zu entlasten, könnten Führungskräfte Befugnisse delegieren und ein Umfeld schaffen, in dem Teams und Individuen selbständig Entscheidungen treffen können. Dies erfordert klare Rahmenbedingungen und Prinzipien zur Entscheidungsfindung sowie die Fähigkeit, mit Unsicherheiten umzugehen.
  • Förderung der kollaborativen Entscheidungsfindung: Zusammenfassung: Durch partizipative Methoden wie der Konsent-Entscheidung wird die Entscheidungsfindung demokratisiert und die Einbindung aller Beteiligten gestärkt. Transparente Prozesse, offene Kommunikation und dokumentierte Entscheidungsgrundlagen fördern Vertrauen und Engagement für gemeinsame Entscheidungen und deren Umsetzung.

3. Führung sorgt für Reflexion, Austausch und Erkenntnis

Führung in dieser Unterfunktion ist sehr oft das Schaffen von Raum und etablierten Prozessen für Reflexion und Wissensgenerierung:

  • Regelmäßige Retrospektiven im Team: Einen Schritt zurücktreten und auf die eigene Zusammenarbeit blicken: Wie ist die Qualität unserer Ergebnisse? Wie funktionieren unsere Prozesse? Wie sind wir mit unserem individuellen und gemeinsamen Verhalten als Team zufrieden? Wo müssen wir lernen und uns weiterentwickeln?
  • Anleitung zur Selbstreflexion: Die Bereitstellung von Tools und Methoden für die Selbstreflexion kann Mitarbeitende dabei unterstützen, ihre persönlichen Stärken, Schwächen und Lernfelder zu identifizieren. Tagebücher oder Selbstbewertungsbögen sind Beispiele für solche Werkzeuge.
  • Ermutigung zu direktem Feedback: Die Kultivierung einer offenen Atmosphäre, in der direktes Feedback gefördert und geschätzt wird, ist entscheidend. Training in effektiven Feedback-Techniken und Formaten kann dabei helfen, eine Kultur zu schaffen, in der gleichzeitig Wertschätzung ausgedrückt und konstruktives kritisches Feedback als Möglichkeit zur Verbesserung verstanden wird.
  • Bildung von Lerngemeinschaften: Die Förderung der Bildung von themenspezifischen Lerngemeinschaften oder Interessengruppen innerhalb der Organisation kann den Austausch und die gegenseitige Unterstützung in Lernprozessen unterstützen. Diese Gruppen können sich regelmäßig treffen, um Wissen zu teilen, Erfahrungen auszutauschen und gemeinsam an Projekten zu arbeiten.
  • Raum schaffen und halten für Informationsgewinnung: Unterschiedlichen Sichtweisen Raum geben; dafür sorgen, dass alle relevanten Informationen (die oft fragmentiert auf unterschiedliche Personen sind) auf den Tisch kommen; allzu schnelle Bewertungen / Abwertungen einzelner Vorschläge hintanhalten.

4. Führung bearbeitet Spannungen und Konflikte und zieht Konsequenzen

In dieser Subfunktion geht es beispielsweise darum:

  • Frühzeitige Konflikterkennung und -ansprache: Führungskräfte sollten eine Kultur fördern, in der potenzielle Konflikte frühzeitig erkannt und offen angesprochen werden. Dies kann etwa durch regelmäßige Check-ins/Check-outs und die Ermutigung zu direktem Austausch zwischen den Teammitgliedern gefördert werden.
  • Förderung von Empathie: Eine Schlüsselrolle bei der Bearbeitung von Konflikten spielt die Fähigkeit, sich in die Lage anderer hineinzuversetzen und unterschiedliche Perspektiven zu verstehen. Dies stärkt das gegenseitige Verständnis und erleichtert so die Konfliktlösung.
  • Spannungen als etwas Produktives erleben: Eine Spannung bedeutet oft, dass nicht alle relevanten Personen alle relevanten Informationen und Sichtweisen kennen. Meist entstehen aus der produktiven Bearbeitung von Spannungen viele Erkenntnisse und gute neue Lösungen.
  • Mediation und Konfliktlösung: Fähigkeiten in Mediation und Konfliktlösung entwickeln, um bei Spannungen innerhalb der Organisation vermitteln zu können. Wichtig ist es, eine Atmosphäre zu schaffen, in der Konflikte als Chancen für Wachstum und Entwicklung gesehen werden.
  • Klarheit und Konsequenz: Während Führungskräfte den Rahmen für Selbstorganisation setzen, müssen sie auch klar und konsequent handeln, wenn es um die Einhaltung von Prinzipien und Werten geht. In letzter Konsequenz bedeutet das auch die Trennung von Organisationsmitgliedern.

5. Führung bietet Schutz und Sicherheit

Bei dieser Subfunktion geht es darum, einen Raum für die (Zusammen-)Arbeit zu schaffen, in dem sich die Mitarbeiter:innen sicher fühlen können. Beispielsweise könnte das bedeuten:

  • Schutz vor Überlastung: Führungskräfte erkennen und respektieren die eigenen Grenzen ebenso wie jene der Mitarbeitenden. Kolleg:innen können sich dabei gegenseitig durch ein achtsames Miteinander unterstützen.
  • Psychologische Sicherheit: Eine der wichtigsten Aufgaben von Führung ist es, ein Umfeld psychologischer Sicherheit zu schaffen, in dem Fehler und Scheitern thematisiert werden dürfen, um daraus zu lernen: Wie kann es gelingen, dass jede:r hier offen sprechen kann? Darf über Fehler und Scheitern miteinander gesprochen werden? Wie gelingt es, direkt und ehrlich miteinander zu kommunizieren – ohne Abwertungen und Verletzungen?
  • Aufbau von Mentoring- und Buddy-Systemen: Die Einrichtung von Mentoring- oder Buddy-Systemen fördert den Aufbau unterstützender Beziehungen innerhalb der Organisation. Neue oder weniger erfahrene Mitarbeitende können von den Erfahrungen und dem Wissen etablierter Teammitglieder profitieren. So kann ein Gefühl der Zugehörigkeit und Sicherheit geschaffen und den Wissens- und Erfahrungsaustausch erleichtert werden.
  • Gerechtigkeit und Transparenz in Entscheidungen: Führungskräfte sollten dafür sorgen, dass Entscheidungen, insbesondere solche, die einzelne Mitarbeitende oder Teams direkt betreffen, transparent kommuniziert und auf faire Weise getroffen werden. Dies umfasst auch den Zugang zu Informationen und die Möglichkeit, Entscheidungen zu hinterfragen oder Feedback zu geben.
  • Strukturen und Prozesse geben Mitarbeiter:innen Klarheit für die Handhabung von wiederkehrenden Aufgaben und damit auch Sicherheit.

Zusammenfassung

Das Denkmodell “5 Subfunktionen von Führung” stellt eine einfach verständliche Auffächerung des Dienstleistungsportfolios von Führung dar. Es beschreibt Führung unabhängig von einer bestimmten Organisationsform, egal ob z.B. klassisch hierarchisch organisiert oder weitgehend selbstorganisiert. Die fünf Subfunktionen sind klar verständlich und nachvollziehbar und bieten somit eine gute Denkstruktur im Sinne einer Checkliste. Deshalb setzen wir es sehr gerne in unseren Workshops ein, insbesondere um mit unseren Teilnehmer:innen der Grundsatzfrage nachzugehen, was Führung denn überhaupt sein soll.

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