Die Systemische Schleife im Team Leading

Einleitung

Führung ist meistens nicht an eine Person gebunden. Führung von Projekten und/oder Teams und Organisationen findet verteilt statt. Sei es bewusst durch das Aufteilen von Verantwortung auf unterschiedliche Rollen oder informell durch die Beeinflussung von Meinungsmacherinnen. Das hat klare Vorteile: Verschiedene Perspektiven bereichern die Entscheidungsfindung. Jedoch steigt mit mehr Meinungen natürlich auch der Kommunikationsaufwand.

Typische Konstellationen von verteilter Führung können sein:

  • Aufteilen von Verantwortung auf Rollen, wie um Beispiel in holacracy-artigen Organisationen
  • Zusammenspiel von ProductOwner und ScrumMaster
  • Teamleiterin und beratender Coach
  • Projektleiterin und leitende Ingenieure

Wie sorgen wir dafür, dass die unterschiedlichen Sichtweisen nicht als Mehraufwand, sondern als Bereicherung wahrgenommen werden und letztlich zu einem strukturierten Plan für die nächsten Schritte führen? 

Hier kommt die „Systemische Schleife“ ins Spiel. Sie bietet einen klaren, strukturierten Ansatz, der sowohl die Vorteile mehrerer Perspektiven nutzt als auch die Nachteile minimiert. Denn der Prozess ist leichtgewichtig und macht das Mitwirken aller Beteiligten effizient und konstruktiv.

Was ist die Systemische Schleife?

Die Systemische Schleife entwirrt Denkprozesse, die sonst oft unbewusst und blitzschnell ablaufen (siehe Wahrnehmungsleiter). Sie entschleunigt, gibt Raum zur Reflexion und verhindert, dass wir uns vorschnell in gedanklichen Sackgassen – Rabbit Holes, wie wir sie liebevoll nennen – verlieren.

Der Prozess ist simpel und leichtgewichtig und kann, wie im folgenden fiktiven Beispiel, leicht während eines Mittagessens durchgeführt werden. Wann haben wir sonst schon ausreichend Zeit, uns für die Führungsaufgaben ausreichend Zeit zu nehmen?

Alles, was du brauchst, sind ein Stift, ein paar Post-Its und eine freie Ecke auf dem Tisch. Los geht’s!

Der richtige Tisch: Die Intention – das Thema

Während mein Kollege und ich in unser Lieblingsgasthaus gehen und dort einen guten Tisch suchen, legen wir uns auf das jetzt richtige Thema fest. Worüber wollen wir sprechen?
Um in der Praxis nützlich zu sein, ist es relevant für die folgende Übung, eine gute Zielrichtung zu definieren. Worum soll es gehen? Um den Stand des Projektes ganz allgemein, oder ist jetzt ein ganz bestimmter Aspekt wichtig, auf den wir uns konzentrieren wollen?

Die Intention sollte fokussiert, aber offen genug sein, um Raum für neue Ideen zu lassen. Eine habitable Zone, in der neue Einsichten und Ideen entstehen können.

In unserem Beispiel wechselt gerade ein Projekt die Phase. Neue Stakeholder treten auf den Plan, Prioritäten verschieben sich. Es fühlt sich alles anders an. Die Intention, die wir als (informelle) Führungskräfte nun verfolgten, war es, uns zu fragen: Was braucht das Team gerade von uns? Wie können wir hilfreich sein? Was müssen wir ändern?

Systemische Schleife

Zur Vorspeise: Beobachtungen sammeln

Die Zwiebelsuppe ist serviert, aber noch zu heiß. Perfekt – Zeit, relevante Beobachtungen zu sammeln. Jede Person für sich. Was habe ich wahrgenommen? Was fällt mir auf?
Was dabei relevant ist, bestimmen einzig wir, aber eine gut gesetzte Intention hilft uns dabei zu entscheiden, was wir einbringen wollen.

Beobachtungen sollten nach Möglichkeit konkret, drehbuchreif sein und folgen ein paar einfachen Regeln:

  • Frei von Wertungen: Jetzt ist nicht der Moment, zu bewerten, ob etwas gut oder schlecht war. Es geht nur um die reinen Fakten.
  • Frei von Erklärungen: Erklärungen und Ursachenforschung kommen später. Jetzt sammeln wir erstmal Daten.
  • Unbestreitbar: Eine gute Beobachtung ist eine, bei der nicht gesagt werden  kann: „Das stimmt doch gar nicht.“
  • Banalität erlaubt: Viele Beobachtungen mögen auf den ersten Blick trivial wirken, aber das bedeutet nicht zwingend, dass sie es sind.

Beobachtungen können auch “innerlich” sein, wie Gefühle oder intuitive Reaktionen. In unserem Beispiel habe ich etwa gemerkt, dass ich mich in den letzten Meetings wenig nützlich gefühlt habe und den Drang verspüre, mehr beitragen zu können. Mein Kollege beobachtete, dass eines der ursprünglich vereinbarten wöchentlichen Meetings nie wirklich stattgefunden hatte. Oha! Das war mir gar nicht aufgefallen!

Nachdem wir unsere Beobachtungen auf Post-Its notiert haben, stellen wir sie uns gegenseitig vor. Wir arrangieren und clustern sie auf dem Tisch, bis ein stimmiges Bild entsteht. Manchmal bringt eine Beobachtung neue Einsichten hervor und das Gespräch nimmt eine unerwartete Wendung.

Zur Hauptspeise: Hypothesen bilden

Bravo! Wenn es dir wirklich gelungen ist, den schlauen Erklärbär in dir, den rastlosen Ideengenerator in deinem Gehirn bis jetzt zu beruhigen und hinten anzustellen, hast du das Schwierigste geschafft. Jetzt hast du dir das Hauptgericht verdient. Bei uns gibt es Krautfleckerl. Ich liebe einfache Kost, wenn sie gut gemacht ist!

Dazu werden Hypothesen zu den gesammelten Beobachtungen gebildet. Hypothesen sind Erklärungsansätze. Warum ist das so? Wieso ist das so? Wozu dient es? Wer profitiert von der Situation? Was sind die Zusammenhänge? Was verstärkt einander? Was schwächt sich ab?
Wichtig dabei: Es gibt keine richtigen oder falschen Hypothesen, nur hilfreiche und weniger hilfreiche. Aus diesem Grund ist es für Hypothesen auch überhaupt kein Problem, wieder verworfen zu werden, nachdem sie ausgesprochen wurden und nicht resonieren.

Gute Hypothesen in der systemischen Praxis haben als Eigenschaften:

  • Wertschätzend: Sie fokussieren auf positive Aspekte, Potenziale und Ressourcen, statt auf Defizite.
  • Offen und neugierig: Sie drücken Nichtwissen aus und sind im Konjunktiv formuliert (z. B. „Könnte es sein, dass…“).
  • Kontextbezogen: Sie betrachten Verhaltensweisen im Gesamtkontext.
  • Vielfältig: Sie eröffnen neue, kreative Sichtweisen auf die Situation.
  • Handlungsorientiert: Sie sind der Ausgangspunkt für die Entwicklung von Lösungen.
  • (Auf)fordernd: Sie sind warm und frech formuliert: „Könnte es nicht auch sein, dass …”

Wieder sammeln wir unsere Hypothesen zuerst individuell und stellen sie uns danach gegenseitig vor. Wir arrangieren und verflechten sie in das bereits bestehende Bild der Beobachtungen und reflektieren darüber.

Während dieses Gespräches kristallisieren sich für uns relevante Themencluster als Überschriften heraus. In so mancher systemischer Literatur würde wohl dieser Schritt als “Stoßrichtungen bestimmen” erwähnt werden. Ich führe das hier nicht gesondert an, sondern nenne es schlicht “Reflexion”.

In unserem Beispiel kommen wir auf folgende Hypothesen:

  • Es könnte sein, dass auch andere mit wenig Energie in die Meetings kommen und ihre Besprechungspunkte schwer fokussieren können.
  • Vielleicht wissen die Teilnehmer:innen nicht genau, wozu das wöchentliche Meeting eigentlich da ist und welchen Nutzen es für sie und ihre Projekte schaffen könnte?

Nach einer Runde Hypothesen sammeln und diskutieren entsteht ein neues, differenzierteres Bild unserer Situation.

Die Nachspeise: Interventionen planen

Jetzt wird’s praktisch: Basierend auf unseren Beobachtungen und Hypothesen planen wir konkrete nächste Schritte. Welche Interventionen sind sinnvoll? Wer macht was?

Gemeinsam legen wir fest, wer welche Aufgabe übernimmt.

In unserem Beispiel wäre das etwa:

  • Unsere Hypothesen überprüfen: Jeder von uns wird Gelegenheiten schaffen, mit einigen Personen aus dem Projektteam zu sprechen, um ein differenzierteres Stimmungsbild zu erlangen.
  • Retrospektive durchführen: Sofern sich unsere Hypothesen bestätigen, werden wir mit dem Team eine fokussierte Retrospektive durchführen. Ziel wird dabei sein, herauszufinden, welche Beteiligten welche Informationen brauchen und wie wir das in einen neuen optimierten Meeting-Rhythmus bringen. Diese Retrospektive muss geplant werden. Die nötigen Schritte dafür halten wir fest.

Für die Interventionen werden Verantwortliche gefunden, der Name dazugeschrieben, ein schnelles Foto als Protokoll, und schon kann es zurück ins Büro gehen.

Der Weg zurück ins Büro: Abschlussreflexion

Am Weg zurück ins Büro, reflektieren wir über das Gespräch. Es hat uns geholfen, die Situation klarer zu sehen und konkrete Handlungen festzulegen. Wir fühlen uns richtig gut und freuen uns darauf, ins Tun zu kommen. Die Systemische Schleife hat es ermöglicht, unsere unterschiedlichen Perspektiven produktiv zusammenzubringen.

Mein Kollege meint: „Bemerkenswert – hätten wir dieses Gespräch nicht geführt, hätten wir uns wahrscheinlich alle jeden Donnerstag unwohl gefühlt und trotzdem weitergemacht wie bisher.“

Warum die Systemische Schleife funktioniert

Die Systemische Schleife ist nicht nur ein nützliches Werkzeug, um die Gedanken zu ordnen und Interventionen zu planen. Sie sorgt auch dafür, dass alle Perspektiven im Raum gehört und berücksichtigt werden. Wenn Führung auf mehreren Schultern verteilt ist, oder wenigstens mehrere Perspektiven gehört werden sollen, ist sie ein leichtgewichtiges, aber mächtiges Tool, um in kurzer Zeit zu klaren, reflektierten Entscheidungen und möglichen Interventionen zu kommen.

Bonusfrage an die Agilist:innen unter euch: Was hat die Systemische Schleife mit den Phasen einer Retrospektive gemeinsam?

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