Dieser Blog-Artikel ist der zweite Teil einer Serie über agile HR-Praktiken.
- Im ersten Teil habe ich versucht, agile HR-Praktiken zu motivieren, und die erste agile HR-Praktik beschrieben: Recruiting durch das Team.
- In diesem Teil stelle ich Praktik #2 vor, die Planung der Weiterbildung im Team.
Für eine Übersicht über alle vorgestellten Praktiken lesen Sie bitte den ersten Teil.
Agile HR-Praktik #2: Planung der Weiterbildung im Team
In vielen Unternehmen erfolgt die Planung der Weiterbildungsmaßnahmen für die Mitarbeiter durch eine zentrale, meist in der Personalabteilung angesiedelte Stelle. Das hat zumindest zwei schwerwiegende Nachteile:
- Zum ersten sind die Maßnahmen sehr individuell auf den einzelnen Mitarbeiter bezogen und berücksichtigen kaum die Bedürfnisse aus seiner Einsatzumgebung, in unserer Betrachtung des agilen Entwicklungsteams.
- Zum zweiten wählt der Mitarbeiter meist aus allgemein für das gesamte Unternehmen verfügbaren Weiterbildungsoptionen, die zu wenig auf die Besonderheiten der Einsatzumgebung eingehen.
Der alternative Ansatz dazu ist, das Team selbst entscheiden zu lassen, welche Weiterbildungsmaßnahmen es für sich und seine Mitglieder benötigt.
In der Praxis könnte die Umsetzung etwa so aussehen:
- Das Team bekommt ein Budget (in Form von Zeit und Geld) für Weiterbildung und kann dieses Budget nach eigenem Ermessen dafür einsetzen, dass das Team und seine Mitglieder sich im Sinne kontinuierlicher Verbesserung ständig weiterentwickeln.
- Das Team setzt sich regelmäßig Ziele, in welche Richtung es sich weiterentwickeln möchte. Teil dieses Prozesses sollte es unbedingt auch sein, die Entwicklungsziele des Teams mit den persönlichen Entwicklungszielen der einzelnen Teammitglieder abzugleichen (siehe auch die Gedanken zu regelmäßigen Peer Reviews im demnächst erscheinenden dritten Teil dieser Serie). Ein guter Anknüpfungspunkt für diese Zielearbeit ist die Retrospektive, die agile Teams regelmäßig abhalten, um sich mit ihrem Vorgehen und möglichen Verbesserungen auseinanderzusetzen.
- Von diesen Zielen abgeleitet definiert das Team die Weiterbildungsmaßnahmen, die es konkret benötigt. Wesentlich erscheint mir dabei, dass Weiterbildung hier sehr breit gefasst wird: Eine Maßnahme kann der Besuch eines angebotenen Kurses oder ein Konferenzbesuch sein, durchaus aber die Zeit für das Studium eines Fachbuchs oder für das Experimentieren mit einer für das Team bisher noch fremden Technologie.
- Auch in einer anderen Dimension sollte Weiterbildung breit aufgefächert gedacht werden: Eine Maßnahme kann einerseits der fachlichen Weiterentwicklung dienen, genauso wichtig ist es jedoch, die Weiterentwicklung des Teams und seiner Mitglieder auf Ebene der zwischenmenschlichen Fähigkeiten voranzutreiben, beispielsweise zu Themen wie Kommunikation, Konfliktlösung, Entscheidungsprozesse oder wertschätzendes Feedback.
Warum halte ich dieses Vorgehen für sinnvoll? Es bietet zumindest vier wesentliche Vorteile:
- Das Vorgehen unterstützt die Autonomie des Teams, also seine Selbstorganisation (ein zentrales Prinzip agilen Vorgehens). Gerade Weiterbildung ist ein Thema, das sehr einfach ins Team gegeben werden kann.
- Die Entwicklungsziele der Teammitglieder sind mit den Entwicklungszielen des Teams abgestimmt. Damit wird ein ernstes Problem klassischer Personalentwicklung stark abgemildert: Dort sind Weiterbildungsmaßnahmen stark auf die Entwicklungsziele der Einzelperson fokussiert; diese divergieren oft maßgeblich vom Bedarf im eingesetzten Kontext, also im Team.
- Das Team kann am besten einschätzen, welche Weiterbildung es gerade benötigt, um sich weiterentwickeln zu können. Es holt sich genau jenes Wissen und jene Fähigkeiten ins Team, die es aktuell gerade benötigt. Dadurch klappt auch der Transfer in den Alltag wesentlich besser: Wissen/Fähigkeiten werden nicht auf Vorrat produziert, sondern können vom Team unmittelbar nutzbringend eingesetzt werden.
- Die Verteilung von Wissen und neu erlernten Fähigkeiten ins Team funktioniert ebenfalls besser: Dadurch, dass das Team selbst festlegt, welche Weiterbildung ein oder mehrere Teammitglieder erfahren sollen, gibt es auch eine entsprechende Erwartung an diese Teammitglieder, ihr erworbenes Wissen ins Team einzubringen.
Wie beurteilen Sie diesen Ansatz für Weiterbildung? Haben Sie vielleicht schon Erfahrungen mit ähnlichen Ansätzen gemacht? Was funktioniert? Was ist schwierig? Ich freue mich über Rückmeldungen und Anregungen, schreiben Sie einen Kommentar zu diesem Artikel!
Sie finden diesen Artikel interessant? Bitte teilen Sie ihn in ihrem bevorzugten sozialen Netzwerk. Vielen Dank!
2 Kommentare
Hallo Gregor,
Ich finde es ebenfalls wichtig dem Team die Möglichkeiten zu bieten, sich Weiterbildungsmaßnahmen nach Bedarf selbst auszusuchen. Dennoch bin ich der Meinung diesbezüglich noch 2 zusätzliche Aspekte zu berücksichtigen:
1) Je nach Zusammensetzung, Reifegrad und Kontinuität eines agilen Teams, halte ich es dennoch manchmal für nötig, auch eine neutrale und wertfreie Sicht von außen einzubringen. Diese Impulse können helfen, dem Phänomen der „Betriebsblindheit“ entgegenzuwirken. Häufig denken Entwickler in Teams verständlicherweise in erste Linie an rein technisch angesiedelte Maßnahmen. Keine Frage, dass diese oft wichtig sind und der Schlüssel zum Erfolg sein können. Vergessen wird aber immer wieder auf ergänzende nicht-technische Weiterbildungsmaßnahmen die gerade bei agilen Teams enorm wichtig sind für effiziente und effektive Zusammenarbeit.
2) In Firmen mit mehreren agilen Teams, die mit ähnlichen Projektentwicklungen beschäftigt sind – ja solche soll es tatsächlich geben 🙂 – würde ich unbedingt dafür Sorgen, dass auch teamübergreifender Austausch in puncto Weiterbildung stattfindet. Hier zeigt die Erfahrung, dass oft viel verborgenes Potenzial iSv Wissen & Erfahrung in den einzelnen Teams schlummert. Das Fördern und Fordern von aktivem teamübergreifenden Austausch kann zum Teil mehr bewirken, als die „bloße“ Wissensverteilung innerhalb eines Teams.
In diesem Sinn bin ich schon gespannt auf deinen 3. Artikel zu agilen HR Praktiken.
Viele Grüße!
Hallo Hans-Peter,
vielen Dank für Deine wertvollen Ergänzungen. In beiden Punkten bin ich vollinthaltlich bei Dir.
Hier ein paar Gedanken, die zu diesen Ergänzungen bei mir entstehen:
Zu 1.: Jedes agile Team macht hinsichtlich seiner Reife eine Reise. Je geringer diese Reife, desto mehr dieser „neutralen und wertfreien Sicht von außen“ wir dem Team gut tun. Ich argumentiere mit meinen vorgestellten Ideen für agile HR-Praktiken ja nicht für eine Abschaffung für HR, sondern für ein modifiziertes Selbstverständnis: HR sollte das Team und auch den Scrum Master als eine Art Coach zum Thema Weiterbildung unterstützen: Das Team herausfordern, Ideen anbieten, mit dem Team an seiner Weiterentwicklung arbeiten.
Zu 2.: Ein sehr gutes Vehikel für den teamübergreifenden Austausch sind meiner Meinung nach die Communities of Practice: Freiwillige Foren für einen Austausch von Gleichgesinnten zu einem bestimmten Thema innerhalb der Organisation, beispielsweise zu bestimmten Disziplinen wie Analyse oder Test, oder aber auch zu Querschnittsthemen wie Architektur oder Agilität.
Liebe Grüße, Gregor
Trackbacks/Pingbacks