Ich werde öfters nach der gemeinsamen Organisationsform von Gregor und mir, also Transferio, die Begeistermeister gefragt. Meine Antwort fällt für die meisten etwas verwirrend aus: Wir sind keine Firma im üblichen Sinn, funktionieren aber wie eine. Das bedeutet, wir haben einen Satz von Konventionen, die unsere Zusammenarbeit bestimmen, wir nennen es unser Betriebssystem.
Da ich in der Vergangenheit wohl so manche fragende Person verwirrt zurückgelassen habe, wage ich hier den Versuch einer näheren Beschreibung wie wir funktionieren. Also, macht es euch gemütlich und lasst uns gemeinsam in das Transferio-Nähkästchen blicken:
Die Bausteine, die unser Handeln leiten sind:
- Unser Why –, unsere Identität, Purpose, Seinszweck, Mission, »wieauchimmer« …
- Ein Satz von Strategien zum Erleichtern oder Hinterfragen von Entscheidungen
- Unsere Meetings
Lies weiter, um zu sehen, wie das alles im Detail funktioniert.
Unser Why
Im Zentrum unseres Tuns steht unser Why. Unser Purpose, Mission, unsere Identität. Egal, wie du es auch immer nennen magst, dieser Satz leitet uns.
Wir sind Gestalter und Gastgeber für die Räume, in denen wir uns als Menschen und Organisationen gemeinsam weiterentwickeln.
Oft, wenn wir mit der Vorbereitung für einen Workshop fertig sind, tönt der Satz durch den Raum: “Dieses Konzept passt, das deckt sich genau mit unserem Why!”. Eine Stimmung der Zufriedenheit stellt sich ein.
Dieses Why entstand in einem profunden angeleiteten Prozess mit unseren lieben Freunden Conny und Sandor von OverTheMaze. Vielen Dank dafür noch einmal an dieser Stelle!
Unsere Strategien
Neben dem Why gibt es einige unverbriefte simple Strategien, die unser Handeln leiten. Diese informellen Strategien helfen uns, uns nicht allzu oft zu verzetteln, sondern uns auf das Wesentliche zu konzentrieren. Einige dieser Strategien sind:
Der Nutzen für die Kunden steht über der Verwendung von Formaten und Tools
Wir wollen nicht als die LEGO-Guys oder Agile-Evangelists wahrgenommen werden oder in sonst eine Schublade gesteckt werden. In Wahrheit verwenden wir das Wort “Agile” gar nicht so oft, da es oft mehr Verwirrung, als Nutzen stiftet. Sondern die zentrale Frage ist, was will der Kunde erreichen? Wir erforschen gerne neue Tools und Trends aus einem inneren Antrieb heraus, wägen aber sehr genau ab, welcher Hammer für den betreffenden Nagel passt.
Global denken und lokal wirken (oder: Von Jägern und Sammlern zu Biobauern)
Die Zeiten, in denen es uns getaugt hat, Zeit in der Business Lounge auf irgendeinem Flughafen zu verbringen, sind für uns vorbei. Wenn es möglich ist, Lebenszeit zu sparen und unseren CO2-Fußabdruck zu verringern indem wir mit dem Fahrrad zu einem Workshop fahren, hat das für uns einen hohen Wert. Es treibt uns an, global zu denken, aber auf die Gegend, in der wir leben, direkten Einfluss nehmen und hier die Organisationen besser zu hinterlassen – für die, die nach uns kommen.
Langfristige Veränderung steht über fancy One-Timer
Wenn wir vor der Entscheidung stehen ein für ein Einzelevent ein unglaublich attraktives Format für einen unglaublich attraktiven Kunden zu moderieren oder woanders einen weiteren Baustein für nachhaltige und stete Veränderung zu legen, werden wir in uns und den Austausch untereinander gehen und wahrscheinlich zweiteres wählen.
Als Coaches ist es wichtig, eine Hoheitsgrenze zwischen uns und dem Kundensystem zu respektieren. Wird das missachtet, würden wir langfristig an Objektivität und damit an Wirkung verlieren.
Dennoch ist uns eine tragfähige Beziehung zu den Menschen im Kundensystem ein Wert, den wir schätzen. Und die evolutionäre Veränderung der Organisationen, in denen wir wirken, hautnah miterleben zu können, gibt uns Energie.
Unsere Meetings
Die Meetings sind wohl der konkreteste Teil unserer Organisation. Sie sind direkt in unseren Kalendern sichtbar und sind die Trägerfrequenz für unser gemeinsames Tun.
Die Titel der Meetings, deren Dauer und Häufigkeit, unterliegen einem ständigen Nachjustieren, aber mittlerweile haben wir einen recht stabilen Rhythmus gefunden.
Die Meetings und deren Zweck sind:
- Tactical & Sparring – für schnelle Antworten zu konkrete aktuelle Themen
- Produktentwicklung – für eine von innen heraus getriebene strategische Verfolgung unserer Ziele
- Clear the Air – für einen saubere Luft im zwischenmenschlichen Raum
Im Folgenden werde ich auf diese drei Formate genauer eingehen.
Tactical & Sparring Meeting
Unser Tactical & Sparring Meeting ist der Taktgeber unserer Zwei-Personen-Organisation. Alle zwei Wochen am Freitag Vormittag treffen wir uns in einem Meetingraum unserer Wahl – das ist meistens ein Grazer Kaffeehaus (Fotter!), manchmal aber auch nur eine Zoom-Session – dort besprechen wir jene Dinge, die es jetzt gerade zur operativen Abstimmung braucht. Hier werden Informationen ausgetauscht, gegenseitige Updates aus den Projekten gegeben oder nächste notwendige Schritte vereinbart.
Meistens ist der erste und bei weitem angsteinflößendste Block in diesem Meeting, die Kalender abzugleichen und in Ordnung zu bringen. Hier werden Terminoptionen für unsere Kunden gesucht, Vorbereitungssessions für die bereits fixierten Workshops eingeplant und, wenn es wirklich sein muss – zähneknirschend, bestehende Meetings verschoben.
Wenn dieser Block geschafft ist, feiern wir das mit einem großen Schluck Tee oder einem frischen Croissant, danach werden alle Informationen ausgetauscht, die für unseren Regelbetrieb wichtig sind.
Auch wenn die gemütliche Umgebung es anders suggerieren mag: Das Meeting läuft nach einem geregelten Protokoll ab:
- In der Zeit vor dem Meeting werden die aufkommenden Themen in einem Trello Board gesammelt. Jeder bereitet sich also persönlich darauf vor.
- Zu Beginn des Meetings nehmen wir uns Zeit für ein Ankommen – den Check-In. Jeder teilt seine innere Gestimmtheit mit. Manchmal lassen wir auch kurz die Zeit, seitdem wir uns das letzte Mal gesehen haben, Revue passieren. Das hilft uns, voll da zu sein und uns auf das Kommende zu fokussieren.
- Komplettieren der Agenda. Was muss noch auf die Liste der Themen? Hierbei gilt Mut zur Lücke, es dürfen auch während des Meetings noch Themen auf die Liste wandern.
- Sortieren der Themen in eine günstige Reihenfolge.
- Start mit dem Meeting mit der Frage an den Themenpaten: “Was brauchst du?”
Am Ende verbringen wir die Zeit, die noch übrig bleibt, mit dem gegenseitigen Sparring der Konzepte für unsere Einzelengagements. Wir wissen, dass unsere Workshops besser werden, wenn wir sie zu zweit planen. Immer ist das leider nicht möglich, aber an dieser Stelle bringen wir so viel von dieser Qualität ein, als uns möglich ist, und geben uns Feedback und Vorschläge zu unseren Ideen.
Produktentwicklung
Neben dem Gastgeber-sein in unseren Kundenprojekten hosten wir uns selber (immer schön abwechselnd) unsere eigenen Workshops, um unsere strategischen Themen voranzutreiben. Alle vier Wochen finden wir uns zusammen, um gemeinsam Neues zu lernen und ohne Termindruck an Produkten und Ideen zu arbeiten.
Die Palette der Themen ist auch hier vielfältig. Im Gegensatz zum Tactical sind es aber alles Themen, die wir aus einem inneren Antrieb heraus voranbringen wollen. Um es ein wenig klarer zu machen, hier ein paar Beispiele was alles hat Platz haben kann in einem Produktentwicklungstermin:
- Vorstellen und Besprechen eines Buches oder Artikels, das einer von uns gelesen hat und jetzt teilen möchte
- ein Workshop-Format, das wir uns neu erarbeiten, weil wir denken, dass unser Why danach verlangt. – Ich möchte hier gar nicht zu viel verraten, aber die Frage: „Was ist eigentlich dieses Leadership und wie geht das?“ finden wir in letzter Zeit recht interessant 😉
- eine Marketing-Initiative, wie zum Beispiel die Aktualisierung unserer Website oder unser nächster Newsletter, denn unsere größten Bemühungen nützen niemand, wenn die Welt nicht davon erfährt
Charakteristisch für die Produktentwicklungstermine ist, dass wir uns hier nicht auf das Treffen von Entscheidungen und Austauschen von Informationen beschränken, sondern inhaltlich arbeiten – es geht also richtig zur Sache.
Clear the Air
Wir stehen öfters gemeinsam im Rampenlicht, moderieren als eine Einheit Workshops oder finden uns gemeinsam in einem Coachingprozess wieder. Darum halten wir es für wichtig auch gut für uns zu sorgen und regelmäßig zu lüften (vergleiche unser Agiles Prinzip #10). Also wird jedes dritte Produktentwicklungsmeeting (genau, das ist alle 12 Wochen) umgewidmet für unser persönliches Clear the Air (CTA).
CTAs dienen dazu, eine tragfähige persönliche Arbeitsbeziehung aufzubauen und zu erhalten. Wir verbinden diese Meetings am liebsten mit einem ausgedehnten Spaziergang im Grünen. Nach einem Check-In stellen wir uns die Frage, wer von uns ein Thema einbringen möchte. Passende Themen sind dabei Spannungen, Irritationen, Fragen oder Beobachtungen persönlicher Natur aus der jüngeren Vergangenheit.
Nun moderieren wir uns selber [Anmerkung 1] einen unglaublich entschleunigten Dialog und nehmen dabei die vergangene Situation so wie wir sie jeweils erlebt haben und unsere auftauchenden Ideen unter die Makrolinse. Dabei versuchen wir so neugierig wie möglich zu bleiben und lassen uns überraschen, was der Prozess für eigene Emotionen und Erkenntnisse über den jeweils anderen zu Tage fördert.
Nachdem der Themenbringer den Fall erörtert hat, ist der aktive Zuhörer an der Reihe erstmal einfach zurückzumelden, was er verstanden hat (“Bei mir ist angekommen,…“). Danach hat der Themenbringer gleich die Möglichkeit Fehlendes zu ergänzen oder falsch Angekommenes zu berichtigen. Das geht so lange, bis der Themenbringer sich ausreichend verstanden fühlt.
Anmerkung 1
Sollte schon vorher klar sein, dass es sich diesmal um ein größeres Thema handelt, dann gönnen wir uns an dieser Stelle eine externe Moderation. Das ist ganz wunderbar, wir können uns voll auf uns selbst und den Fall konzentrieren. Warnung: Das macht es dadurch aber keineswegs weniger anstrengend – genau wie bei einer guten Fitness-Trainerin auch 🙂
Jetzt wechseln die Rollen: Der Themenbringer wird zum aktiven Zuhörer und der Zuhörer wird zum Sprecher. Der Sprecher sagt nun, was ihm zu sagen wichtig. Wie wurde die Situation aus seiner Sicht erlebt? Was waren die Hintergründe? Was waren die Emotionen dabei? Vermutungen, Hypothesen… Was auch immer jetzt gesagt werden will.
Genau wie vorher meldet jetzt der neue Zuhörer zurück, was angekommen ist. Wieder wird ergänzt, gemeinsam an passenden Formulierungen gefeilt (Worte sind wichtig!) bis der Sprecher zufrieden ist.
Dieser Prozess dauert so lange, bis es abebbt und wir beide der Meinung sind, es ist alles gelernt und alles Notwendige gesagt. Zufriedenheit stellt sich ein.
Ein paar Beobachtungen und Learnings aus dieser Praxis habe ich in diesem Blogartikel schon beschrieben, weil es nicht schaden kann widerhole ich sie an deser Stelle gerne:
- Es ist immer wieder aufs Neue ein Ruck notwendig, ein Thema einzubringen. Über solche Themen zu sprechen sind wir offenbar nicht gewohnt oder ist uns erfolgreich abtrainiert worden.
- Die gefühlte Wichtigkeit des Themas hat wirklich gar nichts mit der Interessantheit des sich entspannenden Dialogs zu tun. Der Grundsatz sollte sein: “Bleib auf nichts sitzen! – Bring alles ein!”.
- Die Selbstbeobachtung: “Welche Empfindungen kommen da in mir hoch?“ „Kann ich diese Empfindungen benennen?” ist mindestens genauso spannend, wie das Lernen über “wie tickt der Andere?”.
- Vertraue dem Prozess! Nachher ist es besser als vorher. Immer!
Und? Funktioniert das alles?
Ja, das tut es. Erstaunlich gut sogar. Es ist jedoch wichtig zu verstehen, dass diese Beschreibung nur den augenblicklichen Zustand darstellt und wir ständig entlang unserer Beobachtungen und aktuellen Bedarfen nachregeln.
Wie ist das in jenen Organisationen, derer du Teil bist: Fehlt etwas? Kannst du eine Anregung mitnehmen oder hast dur einen Tipp für uns? Über deinen Kommentar freuen wir uns sehr.
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