Agile HR-Praktiken – Peer Review statt Mitarbeitergespräch

Dieser Blog-Artikel ist der dritte Teil einer Serie über agile HR-Praktiken.

  • Im ersten Teil habe ich versucht, agile HR-Praktiken zu motivieren, und die erste agile HR-Praktik beschrieben: Recruiting durch das Team.
  • Im zweiten Teil habe ich die zweite agile HR-Praktik vorgestellt: Planung der Weiterbildung im Team.
  • In diesem Teil stelle ich Praktik #3 vor: Regelmäßige Peer Reviews im Team statt Mitarbeitergespräch.

Für eine Übersicht über alle vorgestellten Praktiken lesen Sie bitte den ersten Teil.

Peer Feedback als Kern des Peer Reviews

Agile HR-Praktik #3: Regelmäßige Peer Reviews im Team statt Mitarbeitergespräch

Schauen wir uns doch ehrlich in den Spiegel: Was passiert im typischen Mitarbeitergespräch? Wirklich geschätzt wird es weder vom Vorgesetzten noch vom Mitarbeiter. Entsprechend halbherzig passiert die Vorbereitung: Der Vorgesetzte versucht sich die wenigen Begegnungen mit dem Mitarbeiter in Erinnerung zu rufen, die er als eigene Erfahrungsbasis für das Gespräch verwenden kann. Eventuell spricht er noch mit ein zwei Kollegen, um kurz deren Sicht auf den Mitarbeiter einzufangen. Der Mitarbeiter versucht zusammenzusammeln, was er nicht alles tolles geleistet hat, um seinem Vorgesetzten ein möglichst tolles Bild von sich selbst zu präsentieren. Mit einem ehrlichen, wertschätzenden Austausch hat das meistens wenig zu tun.

Betrachten wir doch einmal folgende Alternative: Das Team absolviert die Mitarbeitergespräche selbst in Form von Peer Reviews. Wie könnte das aussehen? Die folgende Skizze ist beeinflusst von den Beispielen, die Frederic Laloux in seinem Buch Reinventing Organizations (siehe auch meinen Blog-Artikel für eine Vorstellung dieses Buchs) gibt (allesamt stammen aus der Praxis echter Organisationen):

An der Peer Review für ein Teammitglied nehmen alle Mitglieder des Teams teil, eventuell auch weitere Kollegen, die viel mit dem Teammitglied zusammenarbeiten. Im wesentlichen besteht es aus drei Schritten:

Zunächst führt das Teammitglied für sich alleine eine Selbstevaluierung zum Betrachtungszeitraum durch. Als hilfreicher Leitfaden dazu dienen vordefinierte Fragen, wie beispielsweise:

  • Was hat richtig gut geklappt und sollten wir feiern?
  • Was hat nicht so gut geklappt oder sollten wir anders machen?
  • Was findest Du im nächsten Jahr besonders spannend, was macht Dir Sorgen?
  • Was könnte Dir am besten helfen, in Deinen aktuellen Aufgaben weiter zu wachsen?
  • Wenn Du an Deine Arbeit im kommenden Jahr denkst: Welche konkreten Ziele werden Dich dabei leiten?

Die Ergebnisse dieser Selbstevaluierung stellt das Teammitglied seinem Team vor. Im Gegenzug erhält das Teammitglied von jedem seiner Teamkollegen individuelles und subjektives Feedback zu seiner Selbstevaluierung. Das Feedback sollte unbedingt aus der Ich-Perspektive des Kollegen formuliert werden, um seine Subjektivität zu unterstreichen. Unterstützt werden kann dieser Feedbackprozess wiederum durch unterstützende Leitfragen, wie beispielsweise:

  • Was schätze ich am meisten in meiner Zusammenarbeit mit Dir?
  • Auf welchem Gebiet empfinde ich, dass Du dich verändern und wachsen könntest?

Zur Verarbeitung des Feedbacks der Teamkollegen dient ein anschließendes Reflexionsgespräch des Teammitglieds mit zwei Teamkollegen. Die Rolle der Teamkollegen ist dabei die des aufmerksamen, aktiven Zuhörers, der das Teammitglied in einen Reflexionsprozess bringt, in dem es vorbereitete Leitfragen wie etwa diese stellt:

  • Was nimmst Du aus dieser Diskussion mit?
  • Was hast Du daraus gelernt?
  • Worauf möchtest Du in Zukunft achten?
  • Welche Ressourcen können Dir dabei helfen?
  • Wie kann das Team, das Unternehmen dabei helfen?

Wie man an Hand dieser Skizze gut erkennen kann, führt der Weg dieser Art des Mitarbeitergesprächs weg von Beurteilung und Überwachung des Mitarbeiters hin zu einer wertschätzenden Erkundung der Leistungen und Potentiale des Mitarbeiters.

Für diese Form eines Peer Reviews ist eine gewisse Reife des Teams im zwischenmenschlichen Umgang miteinander nötig, denn nur dann wird es das notwendige Vertrauen beider Seiten (des Teammitglieds und des Feedback gebenden Teams) geben, sich auf diesen offenen und verletzlich machenden Prozess einzulassen. Für unerfahrenere Teams kann es daher durchaus sinnvoll sein, sich in der Peer Review von einem erfahrenen Moderator begleiten zu lassen.

Und was verändert sich durch dieses Vorgehen vorteilhaft im Vergleich zum klassischen Mitarbeitergespräch?

  • Der Mitarbeiter bekommt Feedback von jenen Kollegen, die am engsten mit ihm zusammenarbeiten, und die ihn daher am besten kennen.
  • Im Team (unter Peers) kommt es typischerweise zu einer vertrauensvolleren Diskussion, da die Barriere des Hierarchiegefälles zwischen Vorgesetztem und Mitarbeiter wegfällt.
  • Der Fokus verändert sich (I): Es geht aus der Sicht des Mitarbeiters nicht darum, dem Vorgesetzten zu gefallen und auf eine höhere Entlohnung hinzuwirken, sondern eine ehrliche Fremdsicht aus dem Team zu bekommen und so die eigenen Weiterentwicklungspotentiale zu erkennen.
  • Der Fokus verändert sich (II): Betrachtet werden das Verhalten und die Leistungen des Mitarbeiters innerhalb seines Systems, des Teams, und nicht seine individuelle Performance.

Sollten im Unternehmen Bonussysteme zur Gehaltsbildung verwendet werden (wovon ich nicht begeistert bin), könnte man die Ergebnisse aus der Peer Review als wesentliches Merkmal für die Bonusbestimmung heranziehen.

 

Wie beurteilen Sie diese Alternative zur Leistungsbeurteilung? Haben Sie vielleicht schon Erfahrungen mit ähnlichen Ansätzen gemacht? Was funktioniert? Was ist schwierig? Ich freue mich über Rückmeldungen und Anregungen, schreiben Sie einen Kommentar zu diesem Artikel!

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