Eine Retrospektive ist ein geführtes und stark strukturiertes Besprechungsformat für ein Team, in dem es darum geht, regelmäßig einen Schritt aus dem Alltag zurückzusteigen, einen achtsamen Blick auf das eigene Tun zu wagen, und daraus Learnings für zukünftiges Handeln zu generieren: Wovon machen wir zukünftig mehr? Wovon weniger? Was probieren wir ganz anders?
Was habe ich gerade jetzt davon?
(1) Schnell aus dem eigenen Tun lernen: In den letzten Wochen ist für viele von uns (gewollt oder ungewollt) besonders viel Neues geschehen, das wir so noch nie gemacht haben. Es ist also gerade ein guter Zeitpunkt, sich im Retrospektieren zu versuchen. Mit Hilfe der Retrospektive können wir versuchen, Ordnung in die vielen neuen Erfahrungen zu bringen: Was von dem, was oft aus einer Not, aus der Improvisation heraus entstanden ist, erscheint uns für die Zukunft ausgesprochen nützlich? Was hat nicht so gut geklappt und braucht eine andere Lösung?
(2) Rasch vom Lernen in die konkrete Veränderung kommen: Was lesen wir aus dem in der jüngsten Vergangenheit Gelernten für die unmittelbare Zukunft ab? Welche Lösungsideen werden wir umsetzen? In der Retrospektive wird es konkret: Weg vom “man müsste mal” oder “eigentlich bräuchten wir” hin zu ganz konkreten Veränderungen, zu einem „das setzen wir um“ oder „diese vielversprechende Idee werden wir testen“. Ein Katalysator für das tatsächliche Verändern ist dabei, in Experimenten zu denken: Ist es sicher genug, eine Lösung zu probieren? Lasst es uns gemeinsam versuchen, wir haben jederzeit die Möglichkeit, das Experiment anzupassen.
Wie läuft eine Retrospektive ab?
Alle Mitglieder eines Teams (z.B. Führungsteam, Projektteam) treffen sich für eineinhalb bis drei Stunden in einem störungsfreien Raum, in dem unabgelenktes, gemeinsames Arbeiten möglich ist.
Die Retrospektive folgt einer klaren Struktur mit drei Kernphasen:
- Gather Data: Sammeln von Fakten, Eindrücken, Beobachtungen. Alles ist richtig und erlaubt. Noch keine Bewertung.
- Generate Insights: Gemeinsam auf die Hintergründe blicken und das Feld (die gesammelten Daten) lesen: Was zeigt sich hier? Welche Hypothesen (freche Vermutungen) gibt es zu Ursachen und Wirkzusammenhängen?
- Decide What to Do: Gemeinsame Schlüsse ziehen und Lernen. Was werden wir verstärken? Was tun wir nicht mehr oder anders? Was werden wir ausprobieren / experimentieren?
Der Fokus einer Retrospektive liegt auf dem Lernen für die Zukunft.
Zum besseren Verständnis geben wir ein Beispiel, was in den einzelnen Phasen passiert:
- In Gather Data äußern einige Teilnehmer:innen die Beobachtung, das Mitarbeiter:innen nach dem Lockdown nicht oder nur zögerlich aus dem Home Office zurück ins Büro kehren.
- In Generate Insights tauchen (u.a.) folgende Hypothesen zu diesem Phänomen auf: Es könnte sein, dass Mitarbeiter:innen noch ängstlich sind, wieder mit ihren Kolleg:innen in einem Raum zusammenzuarbeiten. Es könnte sein, dass Mitarbeiter:innen im Home Office häufiger Phasen des ungestörten Arbeitens erleben.
- In Decide What to Do werden folgende Lösungsideen entwickelt: Wir informieren die Mitarbeiter:innen in persönlichen Einzelgesprächen darüber, welche Sicherheitsmaßnahmen wir im Unternehmen implementiert haben. Wir führen probeweise pro Woche zwei Halbtage ein, an denen keine Meetings stattfinden und die Mitarbeiter:innen weder Telefon noch E-Mails beantworten müssen.
Was leistet ein Facilitator?
Ein Facilitator hilft dabei, dass die Teilnehmer:innen in jedem der drei Kernphasen der Retrospektive den Fokus halten. Es ist beispielsweise wichtig, die Phasen Gather Data und Generate Insights sauber voneinander zu trennen, um nicht zu schnell in ein Bewerten und oft auch Abwerten von Eindrücken zu kommen.
Weiters hilft der Facilitator durch achtsame Beobachtung und den Einsatz passender Werkzeuge dabei, dass alle Teilnehmer:innen fairen Raum bekommen, um sich in das gemeinsame Beobachten und Lernen einzubringen. Bestimmt kennst du die pointierte 80/20-Regeln in Meetings: 20% der Menschen beanspruchen 80% der gemeinsamen Zeit für sich. Das gilt es zu vermeiden.
Worum geht es uns hier (nicht)?
Es geht uns nicht darum, die Retrospektive als besonders geeignetes Instrument zur Krisenbewältigung vorzustellen.
Vielmehr möchten wir den Impuls geben, dass gerade jetzt, nach der ersten Etappe der Navigation durch eine Krise, ein guter Zeitpunkt ist, um das Retrospektieren zu üben. Gerade sind zu verarbeitende Eindrücke (Gather Data) mannigfaltig vorhanden.
Eigentlich möchten wir dazu anregen, dass du die Retrospektive als effektives Mittel für dich entdeckst, um im „normalen” Alltag als Team regelmäßig aus der gemeinsamen Arbeit zu lernen. Was regelmäßig genau bedeutet, hängt vom Kontext des Teams ab. Ein operativ arbeitendes Team retrospektiert vielleicht alle zwei Wochen, ein Führungsteam vielleicht monatlich. Du wirst selbst herausfinden, welcher Rhythmus für deinen Kontext passt.
Ein paar kritische Fragen (und der Versuch einer Beantwortung)
»Ist das nicht bloß wie vor einer Klagemauer?« Alle jammern ein bißchen, und dann geht es gefühlt ein wenig besser? Nein, die Retrospektive ist keine Klagemauer. Sie hat einen starken Fokus auf die Zukunft und auf das (experimentelle) Finden von Lösungen. Diesem wichtigen Zweck dient die dritte Kernphase der Retrospektive: Decide What to Do.
»Ist das nicht vergeudete Zeit – was passiert, ist passiert? Sollten wir nicht lieber tatkräftig operativ voranschreiten?« Diesen Impuls hören wir oft. Uns erinnert das stark an die Szene, in dem ein Bauer dem anderen Bauern über die Grundstücksgrenze hinweg hinweist: „Du dein Zaun hat ein Loch. Solltest du den nicht flicken?” Und der andere Bauer ihm erwidert: „Keine Zeit, ich muss meine Hühner einfangen!”
»Wir haben so viele Meetings! Warum denn noch ein Gespräch?« Ja, wir verstehen diese Sorge und antworten mit einer Gegenfrage: Wie viel Zeit hast du in deinen vielen Meetings der vergangenen Wochen damit verbracht, zurücktreten, mit Abstand aufs eigene Tun zu schauen, die Perspektiven mit deinen Kolleg:innen abzugleichen und daraus für die Zukunft zu lernen?
»Experimente? Wir sind doch ein Unternehmen und kein Labor!« Wenn eine Idee für die Verbesserung unserer Zusammenarbeit auf dem Tisch liegt, wissen wir praktisch nie mit Gewissheit, ob die Umsetzung der Idee die erwarteten / erhofften Ergebnisse bringt. Und sehr rasch melden sich Leute zu Wort, die Befürchtungen äußern, warum die Idee nicht funktionieren wird. Der Ausweg aus dieser Ungewissheit ist, die Umsetzung der Idee als Experiment zu betrachten: Wir probieren sie für einen gewissen Zeitraum aus und bewerten anschließend, ob sie eine Verbesserung gebracht hat.
Unser Angebot für dich
Wir sind erfahrene Facilitatoren und helfen dir dabei, deine (erste) Retrospektive so erfolgreich zu gestalten, dass alle Teilnehmer:innen Lust haben werden, regelmäßig zu retrospektieren und zu lernen.
Dazu bieten wir dir ein Komplettpaket an:
- Wir sprechen mit dir vorab, um deine aktuelle Situation und den Kontext deines Teams gut zu verstehen und daraus ein hilfreiches Design für deine Retrospektive abzuleiten.
- Wir begleiten dich als erfahrener Facilitator durch deine (erste) Retrospektive. Du kannst dabei hoffentlich viel dafür abschauen, wie du zukünftige Retrospektiven selbst gestaltest.
- Wir unterstützen dich bei der Ergebnissicherung deiner (ersten) Retrospektive. Du erhältst von uns eine Zusammenfassung über den Verlauf und die Ergebnisse der Retrospektive.
Du kannst deine Retrospektive online oder Face to Face abhalten, ganz so, wie es zu deinen aktuellen Rahmenbedingungen am besten passt.
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