Wie sollte ein Training gestaltet sein, das die Grundlagen von Scrum und agilem Arbeiten möglichst einprägsam vermitteln möchte? Gemeinsam mit einem Kollegen habe ich die Idee auf die Spitze getrieben, auf Erlebnisorientierung zu setzen. Play Scrum ist kein Training mit einer kleinen Simulation, sondern eine ausgedehnte Simulation mit kleinen Trainingselementen. Ein Erfahrungsbericht.
Die Vorgeschichte
Ich mache immer wieder auch Scrum Trainings im Rahmen meiner Begleitung bei agilen Transitionen, um Mitarbeiter:innen die Grundlagen von agilem Arbeiten zu vermitteln. Darin war auch bisher schon immer eine Simulation enthalten, um Aspekte von agilem Arbeiten auch sehr unmittelbar erspüren und begreifen zu können.
Eine wichtige Beobachtung, die ich dazu mache ist, dass die Teilnehmer:innen sich in der abschließenden Reflexion am stärksten auf die Simulation beziehen: Diese wird stets als Highlight des Trainings genannt und auch als Quelle der intensivsten Learnings.
Gemeinsam mit meinem Kollegen Bernhard Ibertsberger bin ich daher gedanklich und mittlerweile auch praktisch einen Schritt weitergegangen. Wie wäre es, ein Training zu konzipieren, das nicht eine Simulation zu agilem Arbeiten enthält, sondern in seiner Gesamtheit eine solche Simulation ist, nur gelegentlich unterbrochen von Einschüben mit theoretischem Unterfutter?
Play Scrum – Die Simulation
Play Scrum ist genau das. An zwei unmittelbar aufeinanderfolgenden Workshop-Tagen bauen die Teilnehmer:innen alle gemeinsam in agiler Logik ein Produkt. Dazwischen versorgen wir als Trainer die Teilnehmer:innen wohldosiert mit wichtigem theoretischem Unterfutter, um nach und nach besser zu verstehen, warum sie das Produkt so bauen, wie wir sie dazu anleiten.
Die spielerische Ausgangssituation ist folgende: Zwei Millionäre wollen sich den Traum von einer eigenen Stadt verwirklichen. Sie haben eine diffuse Vorstellung davon, was ihnen wichtig ist, vertrauen jedoch bei der Umsetzung auf die Trainingsteilnehmer:innen, die ihnen als die Experten für individualisierten Städtebau empfohlen wurden.
Die Trainingsteilnehmer sollen nun ausgehend von dieser eher vagen Vorstellung in 6 Sprints diese Stadt aus Lego (und bei Bedarf ergänzenden Baumaterialien) erbauen. Sie organisieren sich dazu je nach Teilnehmerzahl in Bauteams zu 6-8 Personen. In jedem Bauteam werden die Rollen Product Owner, Scrum Master und Development Team vergeben. Die Simulation funktioniert sowohl mit einem Team als auch in einer skalierten Variante mit mehreren Teams, die gemeinsam eine Stadt bauen.
Vorgegeben sind als Rahmen eine kurze und prägnante Charta sowie die Struktur des Ablaufs in 6 Sprints, wobei die 6 Sprints in drei Staffeln zu je zwei Sprints gegliedert sind. Zu Beginn finden zunächst ein Visions- sowie ein Product Backlog Workshop statt, um zu einem ersten Product Backlog zu kommen. Am Beginn jeder Staffel gibt es einen weiteren Product Backlog Workshop, am Beginn jedes Sprints ein Planning.
Play Scrum: Iterationen
In der Sprint Review demonstrieren die Teams das im jeweiligen Sprint erarbeitete Produktinkrement, und die Millionäre geben ihr Feedback zum Entstandenen. Wir Trainer mimen die Millionäre, und lassen uns bei unserem Feedback durchaus auch von dem leiten und inspirieren, was wir im Laufe der Sprints zu sehen bekommen. Die Teams verwerten dieses Feedback im darauffolgenden Product Backlog Workshop bzw. Sprint Planning.
Play Scrum: Retrospektive in den Teams
In der einen Sprint abschließenden Retrospektive reflektieren die Teams (zunächst jedes Team für sich, anschließend teamübergreifend), was in der Zusammenarbeit bereits gut funktioniert hat, und welche es Verbesserungsideen gibt, die im nächsten Sprint ausprobiert werden können. In der Retrospektive findet also das so wichtige Lernen auf Prozessebene statt.
Play Scrum: Gesamtretrospektive
Play Scrum – Die Trainingseinschübe
In die Simulation eingeschoben sind drei bis vier Theorie-Blöcke, in denen wir Schritt für Schritt wichtige Informationen zu agilem Arbeiten im Allgemeinen und Scrum als Framework für agiles Arbeiten im Besonderen nachreichen. Für gewöhnlich sind das:
- Motivation zu agilem Arbeiten: Warum bzw. wann sollen wir agil arbeiten? Wir arbeiten da z.B. mit dem Cynefin-Modell und intrinsischen Motivationsfaktoren, wie sie z.B. Dan Pink in seinem Buch Drive zusammenfasst.
- Scrum Big Picture: Eine knackiger und stark auf Visualisierung setzender Überblick zum Framework Scrum. Rollen, Meetings, Artefakte – und wie das alles zusammenspielt.
Play Scrum: Big Picture
- Agile Prinzipien: Was steht hinter der Mechanik des Frameworks Scrum (oder alternativen Ideen wie Kanban)? Warum haben sich diese Mechaniken als vorteilhaft herausgestellt? Welchen übergeordneten Prinzipien dienen sie? Wir arbeiten da gerne mit dem agilen Manifest und 8 von uns selbst im Laufe der Zeit zusammengetragenen agilen Prinzipien.
Play Scrum: Agile Prinzipien
Play Scrum – Die Reflexion
Wir schließen die beiden Tage ab mit einer intensiven Reflexions-Sequenz, welche die Erlebnisse aus der Simulation mit den kennengelernten Theorie-Inputs verknüpft. Dazu bearbeiten die Teilnehmer:innen zunächst einen von uns entwickelten Fragebogen in Kleingruppen.
Play Scrum: Reflexion
Die daraus gewonnenen Insights vertiefen wir mit den Teilnehmer:innen dann plenar.
Am Ende der Reflexions-Sequenz steht eine kurze individuelle Auszeit, in der jede:r Teilnehmer:in in einer Postkarte an sich selbst versucht, Transfer-Ideen zu entwickeln: Was kann ich mir aus diesem Workshop in meinen Alltag mitnehmen? Womit möchte ich experimentieren? Welche Veränderungen werde ich dadurch in meiner Umgebung beobachten können?
Play Scrum: Gesamtreflexion
Ein erstes Fazit
Wir haben Play Scrum nun schon ein paar Mal durchgeführt. Was haben wir – an uns und an den Teilnehmer:innen – beobachtet?
- Der Fokus auf die Simulation nötigt uns als Trainer zu einer weiteren Verschlankung der Theorieinputs. Was nehmen wir (nicht) rein? Wir hätten so vieles anzubieten. Doch was ist die Essenz, die wir unbedingt an die Teilenhmer:innen weitergeben möchten? Ein schwieriges Ringen.
- Es verlangt uns noch mehr Vertrauen in die Selbstorganisationsfähigkeit der Teilnehmer:innen ab, da sie am Start der Simulation typischerweise noch sehr wenig zu Scrum und agilem Arbeiten wissen. Da treten unweigerlich Fehler auf, in die wir die Teilnehmer:innen laufen lassen (müssen). Schwierig dabei zuzusehen, aber eine fantastische Lernquelle für sie (Versuch, Irrtum, Lernen).
- Selbstorganisation funktioniert am besten mit einem Mindestmaß an Rahmen- und Strukturgebung. Für ein gutes Ausbalancieren von Freiraum für Selbstorganisation und Struktur für Orientierung haben wir in der Simulation selbst die eine oder andere Iteration gebraucht.
- Es ist wunderbar zu sehen, wie gut iteratives Lernen in einer Gruppe funktioniert. Und zwar sowohl auf der Produktebene (die Lego-Stadt, die die Teilnehmer:innen bauen) als auch auf der Prozessebene (die Art und Weise, wie die Teilnehmer:innen zusammen die Lego-Stadt bauen). Typischerweise ist die Zusammenarbeit am Anfang unkoordiniert und hektisch; es wird mangelhaft kommuniziert; es herrscht Unklarheit darüber, welche Aufgaben die unterschiedlichen Rollen wahrnehmen sollen; es gibt viele Missverständnisse. Über die Zeit hinweg verändert ich dieses Bild stark: Im letzten Sprint sieht man üblicherweise eine produktive, konzentrierte Ruhe; jede:r weiß, was zu tun ist; es wird miteinander statt nebeneinander an den Gebäuden gearbeitet; die Rollen haben sich gut etabliert; es gibt einen Fokus auf das, was gemeinsam geplant wurde.
- Scrum Master und Teammitglieder erkennen sehr schnell, welchen Mehrwert der Scrum Master liefert: Es ist unmittelbar spürbar, wie hilfreich es ist, wenn sich jemand um das Timekeeping kümmert, wenn jemand Retrospektiven anleitet und moderiert, wenn sich die Scrum Master der Gestaltung der Kommunikation (insbesondere der teamübergreifenden) annehmen.
Wir kommen mehr und mehr zur Überzeugung, dass die Vorteile dieser Art des Trainings bei weitem überwiegen. Die Teilnehmer:innen spiegeln unsere Überzeugung, in dem sie uns sehr positives Feedback geben: Es mache Spaß, die Learnings seien intensiv, und sie nehmen mehr Erkenntnisse mit als aus konventionellen Trainings.
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