Das World Café als Format kommt bei unseren Workshops immer wieder zum Einsatz, wenn wir mit größeren Gruppen arbeiten und diese miteinander in Austausch bringen wollen. Da es uns bisher noch nie im Stich gelassen hat, besitzt es einen Fixplatz in unserem Repertoire.
Mit der Wahrnehmungsleiter als Denkmodell haben wir schon viele gute Erfahrungen in Trainings und Coachings gemacht, um die Handlungsspielräume der Kundinnen zu vergrößern. Des Weiteren verwenden wir sie gerne als Opener für Systemische Schleifen (Retrospektiven), um den Teilnehmerkreis auf ein entschleunigtes Beobachten ohne vorschnelle Urteile einzustimmen.
In diesem Artikel beschreibe ich die Folgen eines Geistesblitzes, den ich hatte, als es darum ging, für ein Kundenprojekt eine heikle Mission zu erfüllen.
Zuerst erkläre ich in aller Kürze den Ablauf eines World Café und die Stufen der Wahrnehmungsleiter. Danach beschreibe ich, wie wir in einem Workshop beides verknüpften und wohin es den Prozess führte.
Das World Café
Wann immer wir mit größeren Gruppen arbeiten, ist das Word Café jedenfalls eine der Methoden, die von uns in Betracht gezogen wird. Die Einsatzgebiete sind sehr vielfältig, aber immer geht es dabei um:
- Eine größere Gruppe ins Gespräch zu bringen
- die Vielfalt der Perspektiven nutzen
- den Individuen die Möglichkeit zu bieten, sich eine Meinung zu einem Thema zu bilden
- die eigene Meinung in einem sicheren Rahmen zu testen
Im Folgenden möchte ich kurz den Ablauf eines typischen World Café schildern. Es geht mir dabei nicht darum, eine vollständige Anleitung zu bieten. Ich möchte es für Interessierte, die das World Café noch nicht kennen, möglich machen, dem weiteren Artikel zu folgen. Und wenn du auch noch neugierig auf das Format wirst, freuen wir uns ganz besonders.
Der Ablauf eines World Café
Ein World Café besteht aus drei Gesprächsrunden und einer Ernterunde. In den Gesprächsrunden sitzen (oder stehen) die Teilnehmerinnen an Tischen zu rund vier Personen. Auf den Tischen liegen beschreibbare Tischdecken und farbige Stifte. Die Teilnehmerinnen sprechen über ein Thema oder eine Frage, die von den Moderatoren gestellt wird. Dabei halten die Teilnehmerinnen eine vorher vorgestellte Gesprächsetikette ein:
- Höre neugierig zu – andere wirklich zu verstehen ist wichtiger als deinen Standpunkt vertreten.
- Sprich mit Herz und Verstand – das was jetzt gerade wichtig ist.
- Spaß haben – gehe spielerisch mit Aussagen um. Verbinde Ideen. Baue auf das Gehörte auf.
- Denke mit den Händen – kritzle und male auf die Tischdecken. Dabei kannst du das Gehörte verarbeiten oder das begleiten, was du sagst.
Nach rund 20 Minuten mischen sich die Teilnehmerinnen neu durch und formieren sich möglichst zufällig an neuen Tischen.
Alle Teilnehmerinnen? Nein!
An jedem Tisch bleibt den ganzen Verlauf über eine Person am Tisch sitzen und sorgt für Kontinuität des Gesprächsfadens. Diese Person nennen wir Gastgeber (Table-Host). Sie begrüßt nach jeder Runde die neuen Teilnehmerinnen und gibt einen kurzen Abriss dessen, was bisher an diesem Tisch gesprochen wurde. Die Notizen auf den Tischdecken sind dabei eine Hilfe. Wichtig ist dabei, dass sie nicht die Schreiberin am Tisch ist, sondern sich möglichst alle dazu ermutigt fühlen mit den Stiften auf den Tischdecken zu denken.
Nach der dritten Runde gibt es eine Ernterunde: Die Teilnehmerinnen bleiben am letzten Tisch sitzen und sammeln Highlights und Erkenntnisse entlang der Erntefrage. Diese Statements werden dann in der Großgruppe geteilt oder auch auf einer Erntewand sichtbar gemacht.
Die Kunst beim Vorbereiten eines World Café liegt im Formulieren anregender Fragen. Diese tragen entscheidend zum Gelingen eines World Cafés bei. Die Fragen sollten aufeinander aufbauen und zu tiefen Gesprächen anregen.
Die Wahrnehmungsleiter
Die Wahrnehmungsleiter ist eines der fundamentalen Denkmodelle aus der systemischen Praxis. Es geht dabei den Erkenntnisprozess, der im Gehirn abläuft, bewusst werden zu lassen.
Die Zeit zwischen dem Empfangen eines Reizes (etwas sehen, etwas, hören,…) und dem Setzen einer Handlung ist nicht null, sondern läuft in mehreren Stufen ab. Die Übung, diese Stufen bewusst zu durchlaufen, erhöht den Handlungsspielraum der Akteurinnen erheblich.
Die einzelnen Stufen der Wahrnehmungsleiter
Wahrnehmung – der Reiz
Das Gehirn erhält eine Information. Dieser Empfang von Informationen ist völlig wertfrei – alles ist gleich-gültig.
Selektion – der Filter
Der programmierbare Filter lässt entsprechend der aktuellen Disponiertheit Information für die weitere Verarbeitung zu. Der Rest wird verworfen.
Interpretation – die Bedeutungsgebung
Nun interpretiert das Gehirn, was diese Information bedeutet. Diese Interpretation geschieht auf Basis von kulturellen und individuellen Regeln.
Die Information wird in einen subjektiv stimmigen Kontext gesetzt und fehlende Information ganz einfach ergänzt. Das Gehirn macht sich (s)eine Geschichte.
Beurteilung – Gefühle und Emotionen
Diese Interpretation wird nun bewertet. Das wird begleitet von Emotionen.
Schlussfolgerung
Basierend auf die vorigen Stufen trifft das Gehirn nun eine Schlussfolgerung, die es für richtig hält. Diese Schlussfolgerung programmiert nun den Filter für weitere Reize. So wird die Kohärenz verstärkt, denn das Gehirn empfängt in Zukunft mehr von den zur Überzeugung passenden Reizen. So wird, wenn dieser Prozess weiter unreflektiert abläuft, die Sichtweise und damit der Handlungsspielraum weiter eingeengt.
Aktion – die Handlung
Eine Entscheidung zu einer adäquaten Handlung wird getroffen und ausgeführt.
Beides vereint in der Praxis
Im folgenden Praxisbeispiel beschreibe ich eine Situation, in der eine mitgeteilte Information von den Zuhörerinnen konstruktiv aufgenommen und verarbeitet werden sollte. Somit war es naheliegend, an ein World Café-Format zu denken. Ich habe weiter oben schon erwähnt, dass der entscheidende Faktor bei einem World Café das Formulieren der Fragen für die jeweiligen Runden ist. Da seitens der Kunden die Sorge bestand, dass es zu Irritationen oder gar einer Negativspirale kommen könnte, wollte ich das Einsickern und Verarbeiten des Gesagten so langsam und bewusst wie möglich gestalten. Also gab uns letztlich die Wahrnemungsleiter die entscheidenden Hinweise zum Gestalten der Fragen.
Ausgangssituation beim Kunden
Wer uns kennt weiß, dass wir gerne nach dem Grundsatz “Betroffene zu Beteiligten machen” handeln, wenn es darum geht, Entscheidungen zu treffen. So würden wir eine größere Umstrukturierung einer Abteilung unter Einbeziehung der Akteurinnen gestalten. Tatsächlich ist dies nicht immer gelebte Praxis in Konzernen. Im vorliegenden Fallbeispiel geht es darum, dass die Ausgestaltung der Umstrukturierung bereits fix ist und jetzt den rund 30 Mitarbeiterinnen möglichst unmissverständlich und doch schonend die Umstruktierung ihrer Abteilung mitgeteilt werden soll. Die leitenden Personen hatten sichtlich Respekt vor einem lähmenden Abstoßungsreflex seitens der Belegschaft und wünschten sich, dass den neuen Ideen jedenfalls eine faire Chance gegeben wird. Da helfen wir doch gerne!
Zielsetzung
Die leitenden Personen der Abteilung werden durch Impulsvorträge die Neugestaltung der Abteilung ausgiebig erklären und auch schon erste Fragen beantworten.
Nach der Erklärphase geht es erst einmal darum, dass die Mitarbeiterinnen Zeit haben, das Gehörte zu verarbeiten und im besten Fall mit einen positiven Aufbruchstimmung aus dem Workshop gehen. Etwaige Einwände gegen die bevorstehende Neugestaltung sind natürlich erwünscht, sofern diese Lücken im Plan aufzeigen und als konstruktiv oder warnend wahrgenommen werden können.
Die Freiheitsgrade der Teilnehmerinnen bestehen nicht im Mitgestalten der Umstrukturierung im Großen, aber sehr wohl in der konkreten Ausgestaltung ihrer neuen Rollen und des neuen Teamgefüges. Es sollen Impulse für eine neue gemeinsame Zukunft gefunden und diese aufeinander abgestimmt werden.
Ablauf in der Praxis
Da es hier um das Aufnehmen einer Information (Reiz) und dem Finden einer möglichst konstruktiven Handlung für die Zukunft in einem Großgruppen-Setting geht, kam mir die Idee, die Wahrnehmungsleiter als Grundgerüst für ein World Café zu verwenden. Da die Teilnehmerinnen aus verschiedenen Teilen der Welt angereist kamen haben wir den Gesamtworkshop in vier grobe Phasen gegliedert:
- Persönlich Ankommen – Einander Kennenlernen
- Impulsvortrag: Die leitenden Personen erklären die Umstrukturierung
- Verstehen des Gehörten und verarbeiten der Information
- Ableiten von Handlungen für die Zukunft
Die erste Phase begann am Nachmittag des ersten Workshoptages und ging bis in den Abend. Phase zwei und drei füllten den zweiten Workshoptag. Die vierte Phase fand am dritten Tag bis Mittag statt.
Im Folgenden gehe ich näher auf die verschiedenen Phasen des Workshops ein.
Persönlich ankommen – Einander Kennenlernen
Schon Wochen vor dem Workshop hatte sich die Planungsgruppe Gedanken gemacht, wie die große Gruppe in kleine vertraute Gruppen zu rund fünf Personen aufgeteilt werden könnte. Diese Aufteilung geschah nach Kulturkreisen und Vertrautheit der Personen, alle sollten sich in einer Kleingruppe wiederfinden, in der sie sich vermutlich wohlfühlen.
Rund zwei Wochen vor dem Workshop bekamen die Gruppen eine Einladung und die Aufforderung, einen Messestand für eine Hausmesse zu gestalten. Dieser Messestand sollte es Besucherinnen ermöglichen, sich in circa 15 Minuten ein Bild über die kulturellen Eigenheiten der Ausstellerinnen zu machen. Außerdem soll auf dem Messestand ersichtlich sein, was von den Leuten an dem betreffenden Messestand für die Abteilung beigetragen wird.
Die Vorbereitungsgruppe hatte durch persönlichen Kontakt sichergestellt, dass diesem Auftrag auch tatsächlich nachgekommen wurde.
Und wie! Die Menschen aus mehreren Kontinenten machten diese Phase zu einem absoluten Highlight – und das gleich zu Beginn.
Erklärstrecke der leitenden Personen
Nun, hier gibt es nicht viel dazu zu sagen. Die leitenden Personen haben mit Hilfe einer Präsentation jene Informationen geteilt, die mitgeteilt werden sollten.
Die vorige Phase war hier eine gut investierte Zeit, da sich durch das persönliche Näherkommen viele Ressentiments bereits aufgelöst hatten, dennoch konnten wir die aufkommende Verunsicherung im Raum spüren.
Die Vortragenden sind auf dringende Fragen der mutigeren Teilnehmerinnen sofort eingegangen, haben aber ansonsten auf den weiteren Prozess und uns als Moderatoren verwiesen.
Verarbeiten der Information
Nach dem Umbau in das World Café-Setting haben wir Moderatoren die Teilnehmerinnen auf die kommenden Schritte vorbereitet. Dazu haben wir einen vereinfachte dreistufige Version der Wahrnehmungsleiter präsentiert. Mit deren Hilfe haben wir den Teilnehmerinnen erklärt, wie das kommende World Café ablaufen wird. Jede der nun folgenden Runden dauerte 25 Minuten.
Runde eins – Wahrnehmen
In der ersten Runde legten wir die Schwelle so niedrig wie möglich und fragten einfach nach dem Faktischen: “Was hast du verstanden?” und “Was brauchst du noch, damit du es ganz verstehen kannst?”. Symbolisiert haben wir diese Frage mit einem offenen Ohr.
Getreu dem Grundsatz, die Menschen haben es erst dann verstanden, wenn sie es (sich selber) erklärt haben, hatten die Personen an den Tischen jetzt ausreichend Zeit, sich die Geschichte der Neustrukturierung noch einmal selbst zu erzählen. Wer etwas noch nicht ganz verstanden hatte, konnte jetzt gleich die Kolleg:innen an den Tischen fragen, was andernfalls erst Stunden oder Tage später in der Kaffeeküche passiert wäre, um sich gemeinsam ein Bild aus dem Gehörten zu machen. Die Führungspersonen haben sich dabei auch auf die Tische verteilt, das hat die Wahrscheinlichkeit von kollektiven Missverständnissen reduziert.
Der kollektive Abgleich des Wissensstandes gab Sicherheit und schuf eine Basis für den nächsten Schritt. Das kollektive Besprechen verminderte, dass vorschnell und tendenziös gefiltert wurde.
Runde zwei – Interpretieren und Bewerten
Der Grundtenor der zweiten Runde war, wie wir das Gehörte kognitiv und emotional bewerten. Um die Frage leichter beantwortbar zu gestalten haben wir schließlich nach Chancen, Risken und ganz bewusst nach aufkommenden Gefühlen gefragt. Untermalt war diese Frage mit zwei liebevoll gestalteten Icons von einem Hirn und einem Herz.
Wir wissen natürlich nicht, was an den einzelnen Tischen passiert ist, aber an der Geräuschkulisse konnten wir uns versichern, dass sich die Teilnehmerinnen angeregt austauschten.. Auch die Tischdecken wurden jetzt immer bunter – dabei haben wir auch immer wieder ein wenig nachgeholfen und den Leuten ab und zu einfach einen Stift in die Hand gedrückt.
Runde drei – Schlussfolgerungen und Auswirkungen
Die dritte Runde fragte nach Auswirkungen auf die Teams und auf die Einzelpersonen. Des Weiteren haben wir hier auch die Teilnehmerinnen einbezogen und gefragt, womit sie gehört werden möchten. Welche Warnungen und Ratschläge gibt es an die Führung – das war gleichzeitig eine Vorbereitung für die darauffolgende Ernterunde.
Das Symbol dieser Frage war eine erhobene Hand. Sie symbolisierte “gehört werden wollen” und auch schon “ins Tun kommen”.
Ernterunde
Für die Ernterunde haben wir auf die Tische einige Post-Its verteilt und die Teilnehmerinnen gebeten, circa drei Statements zur Erntefrage zu verfassen.
Die Erntefrage lautete:
Bitte fasst die wichtigsten Erkenntnisse an euren Tischen zusammen:
- Was ist wichtig?
- Was sollte gehört werden?
- Worüber sollten wir noch einmal reden?
- Was noch…?
Nach weiteren 25 Minuten an den Tischen, während die Leute an den Tischen um Formulierungen für ihre Statements feilten, wurden alle Beiträge an einer gemeinsamen Erntewand präsentiert.
Diese Wolke aus Post-Its zeigt nun sehr deutlich, was die Teilnehmer im Raum noch beschäftigte und was geklärt werden sollte. Die meisten der Statements waren entweder noch ungeklärte Fragen oder Hinweise und Bitten an die Führung, um dem Change zum Gelingen zu verhelfen.
Da alle nötigen Personen im Raum waren und die heißen Themen vor uns lagen, entschieden wir, die Themen mittels Klebepunkte zu priorisieren und in einem moderierten Kreisgespräch direkt zu besprechen. Das sorgte für Beruhigung und Vertrauen in die Führung. Es wurde sichtbar, dass sie sich wirklich mit den Fragen und Hinweisen auseinandersetzen. Einige Vereinbarungen zwischen der Belegschaft und der Führung wurden gleich auf der Stelle getroffen.
Ableiten von Handlungen für die Zukunft
Am letzten Tag war klar, wie die neue Teamstruktur sein wird und wer mit wem in Zukunft zusammenarbeiten wird.
Diese neuen Teams bekamen nun die Aufgabe, ihre Zukunft aktiv zu gestalten und Maßnahmen für sich abzuleiten. Damit diese Aufgabe leichter fiel, stellten wir eine Menge für die Organisation relevante Leitfragen zur Verfügung. Die Teams konnten sich aus diesem Menü, die für sie im Moment wichtigsten Fragen auswählen und bearbeiten.
Die Poster wurden am Schluss des Workshops in der Großgruppe präsentiert.
Das Ergebnis
Nun, Workshopergebnisse sind aus der Perspektive von Moderator:innen kaum objektiv zu beurteilen. Ich würde aber sagen, dass es uns gelungen ist, die Gesamtgruppe in eine konstruktive Stimmung zu versetzen. Ich konnte beobachten, wie am dritten Tag noch voller Elan an den Zukunftspostern gearbeitet wurde.
Außerdem glaube ich, dass durch das Aufwärmen im geschützten Raum an den Tischen, die weitere Auseinandersetzung mit dem Change sehr kritisch (im positiven Sinne) und offen erfolgen konnte.
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