Selbstorganisierende Teams sind eines der Agilen Prinzipien und in der Wissensarbeit (welche im Komplexen angesiedelt ist, siehe Komplexitätstreiber) ist ein hoher Grad Selbstorganisation unerlässlich, um den Flaschenhals Führung zu vermeiden.
Und gleichzeitig wird dieses Konzept noch immer oft missverstanden und ihm mit Ratlosigkeit begegnet. Was muss Führung in einem selbstorganisierten Kontext noch leisten? Wird Führung überhaupt noch benötigt und was macht die Chefin jetzt noch, wo sich die Teams doch jetzt selber managen?
Boris Gloger hat dieses Paradox mit dem Buchtitel „Selbstorganisation braucht Führung“ treffend auf den Punkt gebracht. Ebenso hat Frederic Laloux mit seinem Werk „Reinventing Organizations“ eine wegweisende Grundlage für neue Formen der Arbeit geschaffen, die auf den drei Säulen Selbstorganisation, Ganzheit und Sinn ruhen.
In einem früheren Artikel habe ich mithilfe des Leadership-Dreiecks die Quellen für ausgewogene Führung beschrieben. Es liegt nahe zu erkennen, wie sich diese Quellen mit den Prinzipien der Selbstorganisation überschneiden:
- Sinn ist in direkter Verbindung mit und Vision und Know-how oder dem Pol der Erkenntnis.
- Selbstorganisation wird genährt durch die Quelle Strukturen und Prozesse oder dem Ordnungs-Pol
- Ganzheit steht in enger Verbindung mit der Quelle Menschen und Zusammenarbeit oder dem Liebe-Pol (Miteinander)
In diesem Artikel wollen wir die Makrolinse aufschrauben und in den Pol der Strukturen und Prozessen hineinzoomen. Wir werden erforschen, welche Hinweise Frederic Laloux für diese Quelle des Leaderships für uns auf Lager hat.
Die fünf Schlüsselprozesse für Selbstorganisation
Um eine gelungene Selbstorganisation im Team zu fördern, stehen Führungskräfte vor der Herausforderung, die richtigen Bedingungen zu schaffen und die notwendigen Prozesse zu etablieren. Ein entscheidender Schritt besteht darin, die Verantwortlichkeit für bestimmte Aufgaben der Führungskraft auf das Team als Ganzes zu übertragen. Ein “Upgrade” dieser fünf Prozesse bedeutet, dass wiederkehrende Aufgaben, die sonst der Führungskraft anlasten, von allen Teammitglieder gemeinsam getragen werden können. Dadurch wird die Führung verteilt und die Eigenverantwortung der Teammitglieder gestärkt. Statt sich um jede Einzelheit kümmern zu müssen, liegt der Fokus darauf, einen stabilen Rahmen zu schaffen, innerhalb dessen das Team autonom handeln kann.
Die fünf Schlüsselprozesse für Selbstorganisation spielen dabei eine zentrale Rolle. Diese Prozesse bilden das Rückgrat einer effektiven Selbstorganisation und sollten daher früher oder später in jedem Team implementiert werden. Ein Verzicht auf diese Prozesse könnte dazu führen, dass Führungskräfte sich ständig mit Einzelfällen auseinandersetzen müssen, anstatt sich auf strategische Aufgaben zu konzentrieren und das Team in seiner Entwicklung zu unterstützen.
1. Treffen von Entscheidungen:
In Organisationen gibt es zumindest einen intuitiven Entscheidungsprozess: die Chefin entscheidet. Das führt schnell zu Überlastung der Führungskraft, Engpässen und Verzögerungen. Die Einführung verschiedener Entscheidungsprozesse ermöglicht es, die Verantwortung auf mehrere Köpfe zu verteilen und die Entscheidungsfindung zu beschleunigen. Beispielsweise kann der Einsatz von Konsensentscheidungen oder Entscheidungsmatrizen sicherstellen, dass alle relevanten Perspektiven berücksichtigt werden und Entscheidungen im Einklang mit den Unternehmenszielen stehen.
Führungsaufgabe bleibt sicherzustellen, dass es klare und für die jeweiligen Entscheidungsdomänen passende Prozesse gibt, und alle Beteiligten diese kennen und können.
2. Granulare Rollen:
Die Umstellung von starren Jobbeschreibungen auf flexible Rollen bietet mehrere Vorteile für die Selbstorganisation eines Teams. Durch die Definition von spezifischen Rollen und Verantwortlichkeiten können die Teammitglieder effektiver arbeiten und ihre Fähigkeiten gezielter einsetzen. Eine klare Rollenstruktur ermöglicht es zudem, die Arbeitsbelastung gerechter zu verteilen und sicherzustellen, dass alle wichtigen Aufgaben abgedeckt sind.
Ein Beispiel für die Umsetzung granularer Rollen habe ich in einem früheren Artikel (Rollenworkshop) beschrieben, in dem die Aufgaben eines Teams in sehr granularen Rollen zusammengefasst wurden. Diese Rollen können nun von einer oder mehreren Personen übernommen werden.
Es ist wichtig zu betonen, dass alle Aufgaben, die traditionell der Managerin zugeordnet werden (wie Finanzen, Personalbeschaffung, Leistungsbewertung, Planung usw.), ebenfalls in Rollen umgewandelt und kontrolliert innerhalb des Teams verteilt werden können.
Sichtbar gemachte Rollenzuteilung ermöglicht es dem Team, selbständig auf anstehende Veränderungen zu reagieren: Wenn zum Beispiel eine Person das Team verlässt, sind die nötigen Anpassungen der Teamstruktur besprechbar.
Dies fördert Flexibilität und Resilienz, da das Team in der Lage ist, sich auf wechselnde Anforderungen anzupassen und verschiedene Rollen je nach Bedarf zu besetzen.
3. Transparente Informationsweitergabe:
Die Weitergabe von Informationen spielt eine entscheidende Rolle für die Selbstorganisation und Zusammenarbeit im Team. Dabei sind drei Aspekte besonders wichtig:
Zugang zu Information:
Jedes Teammitglied sollte Zugang zu relevanten Informationen haben, um fundierte Entscheidungen treffen zu können. Die Bereitstellung von Informationen ermöglicht es den Teammitgliedern, ihre Aufgaben effektiv zu erledigen und zum Erfolg des Teams beizutragen.
Demokratisierung der Information:
Es ist nicht nur wichtig, dass Informationen verfügbar sind, sondern sie auch von den Teammitgliedern verstanden und genutzt werden können. Dies erfordert möglicherweise Schulungen oder die Aufbereitung von Informationen in verständlicher Form. Durch die Demokratisierung der Information wird sichergestellt, dass alle Teammitglieder über das notwendige Wissen verfügen, um ihre Aufgaben erfolgreich zu bewältigen.
Nicht-hierarchische Kommunikation:
Die Art und Weise, wie Informationen kommuniziert werden, beeinflussen maßgeblich die Zusammenarbeit im Team. Indem hierarchische Kommunikationswege durch nicht-hierarchische Kanäle ersetzt werden: zum Beispiel durch die Nutzung von Kommunikationsplattformen wie Slack, bei der Kommunikation in Kanälen organisiert ist und jede die für sich relevanten Kanäle abonnieren kann. So können Teammitglieder effektiver miteinander kommunizieren und Informationen austauschen. Dies trägt dazu bei, die Transparenz und Effizienz der Kommunikation zu erhöhen und die Zusammenarbeit in der Organisation zu stärken.
4. Leistungsbeurteilung und Feedback:
Die traditionelle Methode der Leistungsbeurteilung durch Vorgesetzte stößt oft an ihre Grenzen, insbesondere in Wissensarbeit. Eine Entkopplung von Leistungsbeurteilung und Feedback kann durch die Etablierung von Peer-Feedback-Prozessen erreicht werden. Es liegt in der Verantwortung der Führungskräfte, ein Umfeld zu schaffen, das Sicherheit und Schutz bietet, damit diese Prozesse zur persönlichen Entwicklung der Teammitglieder beitragen können.
Ein Peer-Feedback-Prozess kann dazu beitragen, die Leistungsbewertung und das Feedback in der Organisation zu verbessern. Durch die Einbeziehung von Kollegen in den Feedback-Prozess können verschiedene Perspektiven berücksichtigt und wertvolle Einblicke gewonnen werden. Es obliegt den Führungskräften, einen Rahmen zu schaffen, der eine offene und konstruktive Feedback-Kultur fördert und die persönliche Entwicklung der Teammitglieder unterstützt.
5. Konfliktklärung:
In Unternehmen mit ausgeprägter Selbstorganisation gibt es klare Prozesse zur Behandlung von Konflikten zwischen Mitarbeiterinnen. Die Führungsaufgabe besteht darin, diese Prozesse zu etablieren und sicherzustellen, dass ein konstruktiver Umgang mit Konflikten gefördert wird.
In traditionellen Hierarchien werden Konflikte oft an Vorgesetzte herangetragen, die dann entscheiden, wie damit umgegangen wird. In Unternehmen mit ausgeprägter Selbstorganisation gibt es jedoch klare Prozesse zur Behandlung von Konflikten zwischen Mitarbeiterinnen. Diese Prozesse können dazu beitragen, Konflikte frühzeitig zu erkennen und konstruktiv zu lösen, was wiederum die Zusammenarbeit im Team stärkt und zu einem positiven Arbeitsklima beiträgt.
Schlussbemerkungen
Es ist wichtig zu erkennen, dass einige der genannten Prozesse intuitiv mit anderen Quellen des Führungsdreiecks verbunden werden könnten, aber dennoch im Bereich der Strukturen und Prozesse angesiedelt sind. Zum Beispiel ist das Konfliktmanagement eng mit dem Bereich Menschen und Zusammenarbeit verbunden, wird jedoch als Prozess betrachtet. Dies unterstreicht die fraktale Natur des Führungsdreiecks und verdeutlicht, wie jeder Pol in sich wieder alle anderen Pole enthält. Diese Erkenntnis verdeutlicht die Vielfalt und Komplexität von Führungspraktiken und zeigt, dass verschiedene Ansätze ihre Berechtigung haben können. Durch eine geschickte Choreografie von Prozessen und Strukturen können Führungskräfte die Balance zwischen den verschiedenen Quellen des Führungsdreiecks aufrechterhalten und so eine effektive Selbstorganisation im Team fördern.
Die Implementierung dieser Schlüsselprozesse erfordert Zeit, Engagement und ein hohes Maß an Kommunikation und Zusammenarbeit innerhalb des Teams. Die Führungskräfte spielen dabei eine entscheidende Rolle, indem sie die Rahmenbedingungen schaffen, um diese Prozesse zu unterstützen und zu fördern. Selbstorganisation ist ein kontinuierlicher Prozess, der eine offene Einstellung, Bereitschaft zur Veränderung und eben auch Führung erfordert.
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