Retrospektive kompakt – wenn mal wenig Zeit ist

Ich sage Teams, die ich in ihrer agilen Arbeitsweise begleite, dass sie sich für ihre Retrospektiven mindestens 90 Minuten Zeit nehmen sollen, damit eine ausreichende Tiefe der Gespräche möglich wird und konkrete neue Spielregeln bzw. Maßnahmen resultieren können. Was jedoch, wenn die Rahmenbedingungen nur 45 oder 60 Minuten zulassen? Ich habe dazu etwas ausprobiert.

Der Kontext

Der konkrete Anlassfall über ein kurz gehaltenes Retrospektiven-Format nachzudenken ist die aktuelle Begleitung eines Transformations-Teams. Es handelt sich dabei um sieben Personen, die in agiler Arbeitsweise eine organisationale Veränderung antreiben.

Die Arbeit des Transformations-Teams ist das Planen, Durchführen und Auswerten von Experimenten in der Organisation, die Veränderung in kleinen Schritten ermöglichen soll. Diese sieben Personen arbeiten nur einen kleinen Teil ihrer Arbeitszeit in dieser Rolle.

Das Transformations-Team trifft sich alle sechs Wochen, um in einer intensiven Session (Iteration Meeting) von fünf Stunden Review, Retro und Planning für die abgelaufene bzw. nächste Iteration abzuhalten. Dazwischen treffen sie sich zu weiteren Arbeits-Meetings, die meist im Rahmen des Plannings festgelegt werden.

Die Problemstellung

Im Rahmen des Iteration Meetings steht eine Timebox von einer Stunde für die Retrospektive zur abgelaufenen Iteration zur Verfügung. Die übrige Zeit benötigt das Transformations-Team für die Review bzw. für das Planning der nächsten Iteration.

Für eine Gruppe von acht Personen (im Iteration Meeting ist auch der Projektsponsor regelmäßig dabei) liegt meiner Erfahrung nach eine passende Timebox für eine Retrospektive eher bei 90 bis 120 Minuten, um ausreichend Zeit für Gespräche mit Tiefgang sowie die Erarbeitung von konkreten Ergebnissen zu haben.

Ich hatte also einen gewissen Widerspruch für mich aufzulösen.

Die Idee

Eines meiner Lieblingswerkzeuge für den Einstieg in die Retrospektive (Set The Stage) ist es, die Teilnehmer:innen um eine kleine Zeichnung zu bitten: “Zeichne den letzten Sprint / die letzte Iteration als Auto.”

Als Einstieg ist das meist eine ganz kurze Übung, z.B. drei Minuten lang zeichnen und dann stellt jede:r Teilnehmer:in ihre:seine Skizze in zwei, drei Sätzen vor. Das dauert insgesamt vielleicht zehn Minuten. Und trotz der Kürze entstehen dabei meist sehr kräftige Bilder, auf die dann im weiteren Verlauf der Retrospektive von den Teilnehmer:innen immer wieder Bezug genommen wird.

Deshalb kam mir die Idee, aus dieser Einstiegsübung so etwas wie den Backbone für die gesamte Retrospektive zu machen, also während der gesamten Retrospektive bei den gezeichneten Bildern zu bleiben.

Und das habe ich dann tatsächlich ausprobiert. Davon möchte ich im Weiteren erzählen.

Einschub – die 5 Phasen einer Retrospektive

Set The Stage

Ankommen. Sich verbinden mit dem Thema und den anderen Teilnehmer:innen.

Gather Data

Sammeln von Fakten, Eindrücken, Beobachtungen. Alles ist richtig und erlaubt. Noch keine Bewertung.

Generate Insights

Gemeinsam auf die Hintergründe blicken und das Feld (die gesammelten Daten) lesen: Was zeigt sich hier? Welche Hypothesen (freche Vermutungen) gibt es zu Ursachen und Wirkzusammenhängen?

Decide What to Do

Gemeinsame Schlüsse ziehen und Lernen. Was werden wir verstärken? Was tun wir nicht mehr oder anders? Was werden wir ausprobieren / experimentieren?

Closing

Abschluss. Eine kurze Reflexion zur Retrospektive. Wie (hilfreich) wurde sie von den Teilnehmer:innen empfunden?

Der konkrete Ablauf

Gather Data

Zunächst habe ich die beiden Phasen Set the Stage und Gather Data miteinander verbunden, in dem ich in der Anleitung für die Zeichenübung die Bitte ausgesprochen habe, sich ein wenig Zeit zu nehmen:

Zeichne die abgelaufene Iteration als Auto. Wie sieht es aus? Wie ist es unterwegs? Welchen Weg hat es zurückgelegt? Was sieht man entlang dieses Weges?

Nimm dir ruhig ein paar Minuten Zeit für deine Zeichnung. Lege Wert auf Details. Schmücke gerne ein wenig aus!

Anschließend haben die Teilnehmer:innen einander ihre Zeichnungen (etwas ausführlicher) vorgestellt. Manchmal habe ich auch zu Details nachgefragt, wenn sie nicht erklärt wurden:

Hat die kleine Blume da am Fahrbahnrand eine besondere Bedeutung?

Kurzretrospektive - wenn mal wenig Zeit ist

Die Zeichnungen haben wir auf einer Flipchart nebeneinander aufgeklebt.

Generate Insights

Für das Generieren von Einsichten und Erkenntnissen sind wir dann weiterhin bei den aufgeklebten Bildern geblieben. Wir haben plenar zu folgenden Fragen gesprochen:

Wenn ihr auf die Zeichnungen blickt: Welche Aspekte tauchen in mehreren Bildern auf? Welche Muster erkennt ihr? Was könnten Ursachen sein?

Im Wesentlichen habe ich das Gespräch frei laufen lassen. Manchmal habe ich konkretisierend nachgefragt, manchmal mit einem “Was noch?“ zu weiteren Redebeiträgen eingeladen.

Diese Phase habe ich unterstützt, indem ich die wesentlichen Aussagen / Erkenntnisse auf gelbe Klebezettel notiert und rund um die entstandenen Bilder angeordnet habe.

Im konkreten Fall hatte das Team eine recht gute Iteration hinter sich gebracht und entlang dieser Fragen einige Aspekte herausgearbeitet, auf die es auch in Zukunft achten möchte bzw. mehr davon tun möchte.

Kurzretrospektive - wenn mal wenig Zeit ist

Decide What To Do

Der Übergang zur letzten Phase war recht fließend. Als ich den Eindruck hatte, dass keine weiteren neuen Redebeiträge mehr kommen, habe ich den Übergang mit dieser Frage eingeleitet:

Wenn ihr jetzt auf eure Bilder und die gelben Zettel blickt: Was wollt ihr euch für die kommende Iteration vornehmen?

Weiters habe ich (wie meist in meinen Retrospektiven) den Unterschied zwischen zwei Arten von Ergebnissen einer Retrospektive wiederholt:

  • Spielregel: Wir ändern (auf Probe) einen Aspekt unseres Regelwerks, wie wir als Team zusammenarbeiten wollen.
  • Maßnahme: Wir investieren Zeit in die Erledigung einer konkreten Aufgabe, die es uns in Zukunft einfacher macht, unsere Arbeit zu machen.

In dieser Retrospektive ging es klar in Richtung Spielregeln. Ich habe wieder versucht, visuell zu unterstützen, indem ich die Maßnahmen auf grüne Klebezettel notiert und wiederum rund um die Zeichnungen arrangiert habe.

Kurzretrospektive - wenn mal wenig Zeit ist

Herausgekommen sind beispielsweise diese Spielregeln:

  • Als leitendes Prinzip: Schnell ins Tun kommen. Experimente definieren. Im Zweifelsfall starten und nicht weiter zuwarten. Schnell Daten und Feedback aus der Organisation sammeln.
  • Als konkrete Spielregel: Für jede Iteration ein klares Ziel definieren. Das hilft zu fokussieren. Dann die passenden Experimente für dieses Ziel zu definieren.

Fazit

Mit der Auto-Übung funktioniert es sehr gut, die Phasen an Hand eines zentralen visuellen Backbones miteinander zu verbinden.

Set the Stage und Gather Data lassen sich damit wunderbar kombinieren: Durch das Zeichnen gelingt schnell die Fokussierung auf die Retrospektive. Wenn man zu etwas ausführlicherem Zeichnen einlädt, sind damit auch schon die wesentlichen Beobachtungen und Eindrücke für das Weiterarbeiten in Generate Insights zusammengetragen. Da braucht es nichts mehr extra.

Für Generate Insights kann man einfach bei der Analyse der Bilder bleiben. Hilfreich ist dabei die visuelle Moderation, indem Muster, Erkenntnisse und Hypothesen auf Post-Its notiert und am besten in örtlicher Nähe zu den thematisierten Bildern.

Sehr hilfreich ist dabei das Sprechen in Metaphern. Die entstehenden Bilder bleiben sehr präsent im Raum und sind sowohl visuelle als auch (übertragen) sprachliche Anker, die eine fokussierte Diskussion ermöglichen.

Die Retrospektive lässt sich in diesem Format sehr gut innerhalb einer Stunde durchführen. Und sie ermöglicht es, die notwendige Tiefe in den Gesprächen zu entwickeln, um aufgedeckte Phänomene zu durchdringen. Das bedeutet jedoch nicht, dass ich Retrospektiven grundsätzlich nur mehr sechzig Minuten lang machen würde.

Meine Erkenntnis des Experimentes: Es geht in sechzig Minuten. Wenn Zeit nicht der limitierende Engpass ist, würde ich auch für das beschriebene Format etwa neunzig Minuten planen, um bei günstigen Umständen auch mal hartnäckiger an einer Lerngelegenheit dranbleiben zu können.

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