In diesem Artikel stelle ich dir das Buch »Die Kunst des Konflikts – Konflikte schüren und beruhigen lernen« von Klaus Eidenschink vor.
Warum dieses Buch?
Aufmerksam gemacht hat mich auf dieses Buch ein LinkedIn-Post meiner lieben Kollegin Andrea Maier, die darin ganz fasziniert über dieses Buch berichtet hat. Das hat mich neugierig gemacht. Ebenfalls hängen geblieben bin ich an dem für mich irritierenden Untertitel: Warum sollte es hilfreich sein, Konflikte zu schüren?
Um es gleich vorwegzunehmen: Das Buch hat mir sehr geholfen, ergänzende Blickwinkel auf Konflikte einnehmen zu können. Ich kann jetzt beispielsweise einordnen, was es mit dem Schüren von Konflikten auf sich hat.
Weiters hat mir das Buch dabei geholfen, einige meiner eigenen, typischen Konfliktmuster aufzudecken bzw. mir wieder bewusst zu machen. Das war nicht immer mit positiven Gefühlen verbunden, jedoch hilfreich.
Ein kurzer Aufriss des Buchs
Klaus Eidenschink beginnt mit einem Kapitel über die verschiedenen Funktionen von Konflikten, beispielsweise dass Konflikte Entscheidungen zwischen Alternativen herbeiführen oder dabei helfen, bestehende Stabilität in einem System in Frage zu stellen.
Es folgt eine Beschreibung des Eigenlebens von Konflikten, sozusagen dem Konflikt als eigenes Lebewesen, als eigenes soziales System. Dabei führt Eidenschink sehr anregend auf, wie der Konflikt typisches Verhalten von uns Menschen nutzt, um sich laufend zu ernähren.
Daran anschließend stellt er das Rückgrat seines Buches vor, nämlich neun Leitunterscheidungen zur Formbildung von Konflikten. Es handelt sich dabei um neun Dimensionen der Konfliktkommunikation mit jeweils zwei Polen: Ein Pol ist dazu geeignet, einen Konflikt zu eskalieren, der andere dazu, den Konflikt zu deeskalieren.
Eine dieser Leitunterscheidungen ist etwa der Aufmerksamkeitsmodus mit seinen Polen generalisiert und spezifisch. Eine Kommunikation am generalisierenden Pol hilft dabei den Konflikt zu eskalieren – die Grundsatzfrage stellen, aus einer spezifischen Meinungsverschiedenheit wird ein “die andere sieht Dinge immer anders als ich”.
Eidenschink gliedert seine neun Leitunterscheidungen übrigens nach den drei Dimensionen Sache, Soziales und Zeit, die er bei Luhmann entlehnt. In der Sachdimension bewegt sich der Konflikt, wenn inhaltliche Standpunkte abgelehnt werden. Auf der sozialen Ebene spielt der Konflikt, wenn die Art und Weise abgelehnt wird, wie über den Konflikt gesprochen wird. In der zeitlichen Dimension schließlich halten sich Konflikte auf, wenn die Schuldfrage geklärt werden will (Vergangenheit), wenn es um die Ausübung von Macht geht (Gegenwart) oder wenn dem anderen gedroht wird (Zukunft).
Mit diesen neun Leitunterscheidungen möchte Eidenschink ein Werkzeug zur Verfügung stellen, um die Wahlfreiheit beim Umgang mit Konflikten zu erhöhen. In Hinblick auf jede Dimension habe ich es als Konfliktpartner:in grundsätzlich in der Hand, den Konflikt zu deeskalieren oder auch zu eskalieren.
Nachdem nun dieser Kompass eingeführt ist, bietet Eidenschink im nächsten Kapitel ein kräftiges Werkzeug zur Selbstreflexion: Für jede der neun Leitunterscheidungen stellt er Reflexionsfragen zu beiden Polen zur Verfügung. Er lädt dazu ein, insbesondere bei jenen Fragen innezuhalten, die dir beim Lesen nicht angenehm erscheinen: Welche Gefühle kann ich gerade abrufen? Auf welche eigenen Muster deuten diese Gefühle hin?
Auch dazu Beispiele für die Leitunterscheidung des Aufmerksamkeitsmodus mit seinen Polen generalisiert bzw. spezifisch:
- Generalisierend: Kann ich die Kompetenz von jemandem grundsätzlich in Frage stellen, ohne dass ich ihn deshalb ablehnen muss?
- Generalisierend: Bin ich selbst gefährdet, ein strittiges Sachthema auszuweiten und andere Punkte ins Spiel zu bringen, wenn mir am Ausgangspunkt der Debatte eine Sachliche “Niederlage” dient?
- Spezifisch: Kann ich es tolerieren, wenn ich als jemand dastehe, der eine Idee hatte, die nichts taugt oder nicht akzeptiert wird?
- Spezifisch: Kann ich Nähe und Verbundenheit auch dann aufrechterhalten, wenn ich merke, dass ich falsch liege und der andere recht hat?
Eidenschink schließt mit einem Kapitel, das wertvolle Hinweise dazu gibt, wie man in Konflikte regulierend agieren kann. Es gliedert sich in einen Teil, in dem es um die Suche nach Spielräumen in der Sach-, Sozial- und Zeitdimension des Konflikts geht. Es sollen hier also anhand der neun Leitunterscheidungen Alternativen für eine Konfliktkommunikation aufgezeigt werden.
Der zweite Teil fokussiert auf die Suche nach den Kosten in diesen drei Dimensionen, die ein Beharren der Konfliktpartner:innen jeweils auslösen würde. Diese Kosten gilt es nach Eidenschink auf den Tisch zu legen und die simple Frage zu stellen: Willst du diese Folgen (einer dysfunktionalen Konfliktdynamik) in Kauf nehmen?
Meine persönlichen Takeaways
Ich nehme mir aus dem Buch unheimlich viel mit. Es fällt mir gar nicht so leicht, einzelne Punkte hervorzuheben, versuche es jedoch trotzdem:
- Die Funktion des Konflikts als Katalysator für Veränderung (Systeme tendieren zur Erstarrung, Konflikt erzeugt die notwendige Energie für Veränderung).
- Das Eigenleben eines Konflikts, die Sichtweise des Konflikts als eigenes Lebewesen und wie Konflikte uns Menschen benutzen, um sich zu ernähren – und was wir dagegen spezifisch tun können.
- Manchmal kann auch das Schüren eines Konflikts hilfreich sein, nicht nur das Beruhigen, beispielsweise, um sich durch Aggression eine Stimme zu verschaffen, um gehört zu werden.
Besonders bestärkt hat mich auch dieser Satz von Klaus Eidenschink (ungekürzte Fassung auf Seite 108):
Wer spezifisch die strittigen Punkte sucht, […] dialogisch den anderen im Spiel hält, […] das Rederecht wechseln lassen kann, potenziell eigene Anteile am Konflikt für möglich hält, […] der hat gute Chancen, Konflikte zu verflüssigen. Diese Pole sind auf Reflexion, Eingrenzung spontaner Affekte und Verlangsamung der Kommunikationsgeschwindigkeit angewiesen.
Damit lässt sich wunderbar erklären, warum der Ansatz von Clear The Air, den ich in einer intensiven Ausbildung kennen und anzuwenden gelernt habe, in vielen Konfliktregulationen so gut funktioniert: Er enthält viele strukturelle Elemente, die helfen, die Konfliktkommunikation zum deeskalierenden Pol hin zu verschieben:
- Die Einladung, über Gefühle und dahinterliegene Bedürfnisse lädt die Konfliktpartner:innen zur intensiven Reflexion über den Konflikt ein.
- Der abwechselnde, exklusive Gesprächsraum (nur ein:e Konfliktpartner:in spricht) sowie die Einladung, das Gehörte des anderen Konfliktpartners immer wieder zu spiegeln, führt zu einer Eingrenzung spontaner Affekte und zu einer starken Verlangsamung der Kommunikation.
Ich hätte aktuell große Lust, mich mit Menschen auszutauschen, die das Buch ebenfalls gelesen haben, um gemeinsam dazu zu reflektieren. Wenn du Interesse hast, melde dich bei mir – in den Kommentaren oder gerne auch per E-Mail oder LinkedIn!
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